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Inkubus

Inkubus

Titel: Inkubus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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angestarrt hatten wie all die anderen Menschen. Weil dieser Polizist ihn nicht ansah, als hätte er ein Monster vor sich. In seinen Pupillen waren Verachtung und Spott aufgeblitzt wie bei seinem Vater. »Du bist schwach«, hatte er zu ihm gesagt. Wie sein Vater, der seine Mutter schlug. Und seine Mutter, die weinte und ihn mit Fußtritten fortjagte, schlimmer als einen streunenden Hund, als er ihr seinen Arm angeboten hatte.
    Primo Ramondi schwankte und hielt sich an einer weiß lackierten Kommode fest.
    In seinem Kopf wiederholte eine lachende Stimme: »Ja, du bist schwach.« Während eine andere grimmige Stimme, die ihn wie ein zorniges Tier sabbern und die Zähne fletschen ließ, in ihm aufschrie: »Das werdet ihr mir büßen.« Sie schrie es dem Polizisten, dem Vater ins Gesicht.
    Er zog die dritte Schublade der weißen Kommode auf und holte eine Metallkassette heraus. Nachdem er das Kombinationsschloss geöffnet hatte, entnahm er ihr ein Paar schwarzer Strümpfe, die am Knie aufgerissen waren, und führte es mit zitternden Fingern an sein Gesicht.
    Strümpfe einer Hure.
    Strümpfe, die nach Männerhänden und der Haut seiner Mutter rochen.

XI
    Die enge Schlinge am Ende des straff gespannten Seils schnitt ihm in die Kehle. Jedes Mal, wenn er die Fersen auf den Boden absenkte, schnürte sie ihm die Luft ab. Wollte er nicht ersticken, musste er auf Zehenspitzen stehen bleiben.
    Ihn fror. Er war nackt.
    Auf die Schreie hin drehte er sich um und sah einen Flammenblitz, hörte einen Schuss. Und noch einen.
    Der Lehrer fiel als Erster, mit weit aufgerissenen Augen, offen stehendem Mund, eine Hand an der Kehle, während sich auf seiner Brust eine pochende, rote Blüte ausbreitete. Die Hand, die den Hals umklammerte, öffnete sich schnell und zuckte unkontrollierbar. Aus der Wunde am Hals strömte Blut, spritzte schwallweise in hohem Bogen durch die Luft, bevor es sich heiß und weich wie Samt auf die nackten Gliedmaßen des Kindes ergoss und ihm die dürren frierenden Beine wärmte. Die Augen des Lehrers waren schreckgeweitet, sein Mund aufgerissen. Plötzlich klappten die Kiefer wieder zu, das trockene Geräusch, mit dem die Zähne aufeinandertrafen, hörte sich an wie eine Falle, die zuschnappt. Die Zunge des Lehrers war in der Falle. Sie war rau, gierig und schuppig wie die eines fetten Katers. Eine Zunge, die verletzen konnte, die lüstern über die Zähne fuhr. Für einen kurzen Moment lösten sich die Kiefer noch einmal voneinander, bevor sich der Mund des Lehrers endgültig schloss, danach fielen ihm auch die Augen zu.
    Ein Stück seiner Zunge – die raue schmale Spitze dieser Katerzunge – löste sich von den Lippen und fiel zu Boden.
    Der Junge war in seiner dunklen Höhle.
    Es klopfte.
    Er öffnete.
    Draußen stand der Tod.
    »Ich komme«, sagte der Junge.
    Die enge Schlinge am Ende des straff gespannten Seils schnitt ihm in die Kehle. Jedes Mal, wenn er die Fersen auf den Boden absenkte, schnürte sie ihm die Luft ab. Wollte er nicht ersticken, musste er auf Zehenspitzen stehen bleiben.
    Ihn fror. Er war nackt.
    Auf die Schreie hin drehte er sich um und sah einen Flammenblitz, hörte einen Schuss. Und noch einen.
    Als Zweiter fiel der Doktor. Er sackte über ihm zusammen. Sein Mund war verstummt, ihm entströmten keine dieser schneidenden Worte mehr, die ihn verletzten wie der Draht, mit dem er ihm die Hände gefesselt hatte. Noch einmal schlossen sich seine Hände um ihn, er drängte sich an den Jungen, glitt über ihn, wärmte ihn mit seinem Blut wie eine Decke. Sterbend rollte er neben den Lehrer.
    Nun erbrach er Blut aus der Öffnung, aus der die Worte hervorgekrochen waren.
    Sein Ohr war zerfetzt.
    Das Herz durchbohrt.
    Rotes, warmes Blut, weich wie Samt, klebrig wie das weiße Blut.
    Sein Penis klaffte auseinander.
    Der Junge war in seiner dunklen Höhle.
    Es klopfte.
    Er öffnete.
    Draußen stand der Tod.
    »Ich komme«, sagte der Junge.
    »Es ist Zeit«, befahl der Tod. »Tu, was du tun musst.«
    Richter Emilio Boiron bog von der breiten Allee nach rechts in eine schmale, steil ansteigende Straße ein.
    Am oberen Ende der Straße lag die riesige Wohnung, in der er geboren und aufgewachsen war. Nach dem Tod seiner Mutter hatte er sie geerbt und war mit seiner jungen Ehefrau wieder dorthin gezogen.
    Schon beim Einbiegen in die Straße neigte er sich vor und hielt nach dem stattlichen Gebäude beziehungsweise nach dem Wohnzimmerfenster im vierten Stock Ausschau. Dort brannte Licht. Sie war also zu

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