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Inkubus

Inkubus

Titel: Inkubus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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Und dann stellte er sich in einem unkontrollierbaren Anfall schäumender Eifersucht vor, dass es sich um einen Liebhaber seiner Frau handelte, der sich über das Dach davonschlich.
    Genau in dem Moment zerfiel die dunkle Masse in zwei Teile: einer stürzte hinunter in die Tiefe und der andere, der sich vor dem wolkenverhangenen Himmel klarer abzeichnete – jetzt sah Boiron, dass es ein Mann war –, blieb mit weit geöffneten Armen an der Brüstung stehen. Er sah aus wie ein biblischer Prophet.
    Diese Erscheinung dauerte jedoch nur einen Augenblick lang.
    Boiron hörte eine ganze Reihe von unerklärlichen Geräuschen. Zuerst so etwas wie einen Knall von einer Peitsche, dann ein dumpfes Schmatzen.
    Schließlich ein ohrenbetäubender Lärm, wie Metall auf Asphalt knallte, der weithin und lange durch die nächtliche Stille hallte.
    Als direkt danach noch ein weiteres, gedämpftes Geräusch von oben kam, schaute er gleich wieder hinauf.
    Auf Höhe des ersten Stockwerks schwang ein dunkles Bündel hin und her und klatschte immer langsamer und träger gegen die Hauswand. Der Kopf eines Mannes.
    In seinem Mund steckte etwas Grünes, das ihn grotesk verzerrte.
    Genau in diesem Augenblick entfaltete die stimulierende Pille, die Boiron vor einer Stunde eingenommen hatte, ihre Wirkung.

XII
    Diesmal gab es kein Fernsehteam mit Videokameras. Nur zwei Scheinwerfer auf dem Dach eines Polizeifahrzeugs. Die Lichtkegel wiesen in verschiedene Richtungen, einer auf den Bürgersteig, der zweite auf die Fassade des Wohnhauses etwa auf Höhe des ersten Stocks. Die Beamten der Mordkommission und die Spurensicherung standen rings um den Lichtkreis auf dem Bürgersteig und warteten schon auf ihn.
    Giuditta hatte in der Nacht das Telefon klingeln hören.
    »Ich muss gehen …«, hatte Amaldi leise zu ihr gesagt; da war es kurz vor eins gewesen.
    »Ja …«, hatte sie fast tonlos geantwortet und sich bemüht, ihn anzulächeln, während panische Angst ihr urplötzlich die Kehle zuschnürte und all die anderen Worte erstickte, die sie ihm eigentlich noch hatte sagen wollen.
    »Ich muss gehen«, hatte Amaldi wiederholt, während er sich anzog.
    Giuditta hatte genickt. Und gedacht: Nun bin ich allein.
    Dann hatte ein Streifenwagen vor dem Haus gehalten. Giuditta war aufgestanden und hatte aus dem Fenster geschaut. Das Blinklicht tauchte die Schaukel und die Rutsche in blaues Licht. Schließlich war das Auto entlang der Küstenstraße verschwunden.
    Als der Streifenwagen sein Ziel erreichte, rang Amaldi nach Luft. Während der Fahrt hatte er aus dem Fenster gestarrt und beobachtet, wie die Stadt langsam näher rückte. Jene Stadt, vor der er geflohen war. Und er dachte an Giuditta, die nun allein in ihrem Bett lag.
    »Hier ist es«, sagte einer der Beamten im Wagen schließlich verlegen, weil Amaldi keine Anstalten machte auszusteigen.
    »Ja …«, antwortete der und dachte, dass er dabei genauso klang wie vorhin Giuditta. Und genau wie sie bemühte er sich nun zu lächeln. Dann öffnete er die Wagentür.
    Zunächst fielen ihm die dünnen Lichtbündel der Taschenlampen auf, die unruhig über die Dachterrasse des Wohnhauses streiften. Ein klassischer Altbau. Kunstvoll gestaltete Fenstersimse, Säulen, künstliche Bögen, fein bearbeitete Stützpfeiler aus Granit unter den Balkonen.
    Trotz der klammen, beißenden Kälte war Amaldi heiß. Er stand etwa zwanzig Meter von Boirons Wohnhaus entfernt. Atmete tief durch. Musste versuchen, jetzt alle Gedanken abzuschütteln. Das war ein Teufelskreis. Er musste zur Ruhe kommen und Abstand gewinnen, um gleich den Tatort untersuchen zu können. Musste objektiv bleiben und eventuelle vorgefasste Meinungen in sich auslöschen. Amaldi schloss die Augen und atmete noch einmal tief durch, wobei er seinen Kopf vorsichtig einmal nach rechts, dann nach links drehte. Schließlich ließ er langsam die Luft ausströmen und öffnete die Augen. Jetzt fühlte er sich bereit. Leer, den Kopf frei, ganz wie ein guter Polizist. Er war angenehm überrascht davon, dass er wieder zu sich selbst gefunden hatte. Zeit, an die Arbeit zu gehen.
    Vom Bürgersteig aus konnte er über den Köpfen der Polizisten die weiße Stoffplane sehen, die den beinahe drei Meter hohen Aufbau vor neugierigen Blicken verbarg. Daneben, etwa auf halber Höhe, baumelte etwas hin und her, das wie ein flatterndes kleines Gespenst aussah. Oder wie ein Käfig für Kanarienvögel, der dort draußen hing und mit einem kleinen Tuch abgedeckt war, damit die Vögel

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