Inkubus
hatte die Prostituierte in Begleitung der jungen Frau den unbefestigten Weg eingeschlagen, der dorthin führte, wo die Stadt endete oder begann.
Violino hatte gesehen, wie der Junge schnell hinter der Hütte hervorschlüpfte, die Strümpfe aufsammelte und sie rasch in die Hosentasche steckte. Er war den beiden Prostituierten hinterhergelaufen und hatte der älteren Frau seinen Arm hingehalten, die ihn allerdings grob wegstieß. Die junge hatte ihn angespuckt. Der Junge war reglos am Wegrand hocken geblieben und hatte ihnen nachgesehen, bis sie verschwunden waren. Dann hatte er sich umgedreht und einen streunenden Hund bemerkt, der scheu und mit wedelndem Schwanz um ihn herumsprang. Der Junge hatte einen Stein aufgehoben und nach ihm geworfen. Er traf sein Ziel genau, Violino hatte das Winseln des Hundes gehört. Dann war der Junge so schnell er konnte in die trostlose Landschaft davongerannt.
In der darauffolgenden Nacht hatten er und Violino einander kennen gelernt. In der Wäscherei. Der Junge schlief wieder nackt auf der sauberen Wäsche, eine Hand hielt die Strümpfe der Prostituierten fest umklammert.
Als Violino ihn aufweckte, wollte der Junge zunächst fliehen. Mit einem Satz war er am Fenster und riss es auf. Dann erst bemerkte er, dass er nackt war. Er blieb stehen und sah entsetzt auf seine über den Boden verstreuten Kleider. Violino machte keine Anstalten, ihn anzugreifen, anzuschreien oder um Hilfe zu rufen. Er stand einfach ruhig da und lächelte.
»Ich mach’s nicht mit Schwulen«, hatte der Junge zu ihm gesagt, dessen Hand immer noch die zerrissenen Strümpfe umklammerte. Er hielt sie sich vor den Unterleib und bedeckte damit notdürftig seinen winzigen Penis.
»Ich bin nicht schwul«, hatte ihm Violino geantwortet. »Mir gehört all das hier.«
»Das weiß ich«, hatte der Junge erwidert. »Was willst du von mir?«
Violino musste kurz an den streunenden Hund von heute Morgen denken. »Ich brauche eine Aushilfe«, hatte er zu seiner eigenen Verwunderung gesagt. »Und du brauchst einen sauberen Ort, an dem du schlafen kannst. Wir könnten miteinander ins Geschäft kommen.«
Von diesem Tag an lebte Primo Ramondi bei Violino im Haus. Er begleitete ihn auf seinen Runden mit dem Lieferwagen, lud sich die schweren Säcke mit der Schmutzwäsche auf die Schultern und trug sie in die Wäscherei. Außerdem sortierte er die sauberen Laken, Kissen und Decken zu ordentlichen Stapeln und machte sie für die Auslieferung am nächsten Tag fertig. Er war aufgeschlossen und intelligent. Violino bemerkte, dass er sich mit seinen Arbeiterinnen nicht anfreunden wollte. Er war ein schweigsamer Einzelgänger. Vom ersten Tag an, an dem Primo bei ihm wohnte, war Violino aufgefallen, dass er geradezu manisch ordentlich war, aber er stellte ihm keine Fragen, und von sich aus erzählte der Junge nichts über sich. Violino sprach ihn nicht einmal auf die Missbildung seiner Geschlechtsteile an.
Sechs Monate später, in denen er den Jungen sorgfältig beobachtet hatte, sagte Violino zu ihm, als sie beim Essen saßen: »Du und ich, wir sind uns ähnlich.«
Primo hatte nicht verstanden, was er damit meinte.
»Ich denke, dass du bereit bist, mein Labor zu besichtigen«, hatte Violino schließlich gesagt, war aufgestanden und zu der gepanzerten Tür gegangen. Beim Aufsperren hatte er den Schlüsselbund wie eine Glocke geschüttelt, damit die Schlüssel klirrten, bevor er in der Dunkelheit verschwand.
Wortlos und ohne eine Erklärung einzufordern, war ihm Primo die engen Treppen hinunter gefolgt.
Das gleichermaßen funktional wie einfallsreich eingerichtete Labor war komplett weiß und roch nach Desinfektionsmitteln. Violino bezeichnete sich selbst als Künstler, und als solcher hatte er dem jungen Primo erklärt, war er auf der Suche nach dem Meisterwerk, Tag für Tag auf seinen ruchlosen Streifzügen, aber auch durch aufmerksame Beobachtung seiner Umgebung.
Er brauchte dringend einen Lehrling.
Primo hatte keine Fragen gestellt. Schließlich hatte er Augen im Kopf und war hinreichend intelligent, um alles zu sehen und zu begreifen. In der folgenden Woche hatte er mit höchster Sorgfalt die Fundstücke seines Meisters archiviert.
Violino hatte mit den Exkrementen alter Frauen begonnen. Er stahl Kothaufen aus den Bettpfannen und konservierte sie in mit Formalin gefüllten Glasgefäßen. Die ältesten Stücke waren fünfzehn Jahre alt. Auf jedem Glas war am Deckel mit Draht ein Etikett mit dem Namen der alten Frau
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