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Inkubus

Inkubus

Titel: Inkubus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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ist.«
    »Na, was sie auf alle Fälle kaum erwarten kann, ist, mit dir in die Kiste zu steigen.«
    Amaldi tat, als hätte er das nicht gehört.
    »Und wie geht es Giuditta? Gut?«, fragte Frese.
    »Es geht ihr sehr gut«, antwortete Amaldi lächelnd. »Fährst du mich nach Hause?« Dann drehte er sich um, um die Arbeit der Spurensicherung zu überprüfen.
    Im gleichen Augenblick kam ein Mann aus dem Zelt, das die Feuerwehrleute errichtet hatten, und lief drohend auf Amaldi und Frese zu.
    »Wie viele muss er denn noch umbringen, bevor du ihn endlich verhaftest?«, brüllte Palermo außer sich vor Wut.
    Alle Beamten wandten sich Amaldi zu und starrten ihn an.
    »Das ist deine Schuld!«, brüllte Palermo weiter und zeigte mit dem Finger auf ihn. »Diesen Toten hast du auf dem Gewissen!«

XIII
    Ein teuflisches Labyrinth. Undurchdringlich und schwarz.
    Primo Ramondi spürte, wie die Welt dort über seinem Kopf ihr Spiel mit ihm trieb. Die Leute liefen vorüber und er hörte Fetzen von ihren Gesprächen, die vom rhythmischen Geräusch ihrer Schuhe auf dem Asphalt begleitet wurden. Rasches Klappern von dünnen Absätzen, dumpfes Knallen von Springerstiefeln, leise schlurfende Mokassins. Sie versuchten, ihre Unterhaltungen vor ihm zu verbergen, doch er hörte sie trotzdem. Und wusste, was sie sagten. Sie redeten alle über ihn. Erzählten einander seine Geschichte und schmückten sie jedes Mal mit neuen Details aus. Und sie lachten, lachten in einem fort. Über ihn. Weil sie jetzt alle Einzelheiten über ihn, seine ganze Geschichte kannten.
    Und Primo Ramondi wusste, wer diese Geschichte erzählt und seine Geheimnisse verraten hatte.
    Er erschauerte. Das teuflische Labyrinth um ihn war undurchdringlich, schwarz und feucht. Der Bauch der Stadt. Ein Bauch, der seine Körperflüssigkeiten über verrostete Rohre entsorgte. Das waren seine Venen und Arterien, die süßlich und metallisch nach Eisen und Blut rochen. Stinkende, kalte Luft, feucht und abgestanden, wurde durch die Gullys, die Belüftungsschlitze und die Leitungen bis hierher transportiert. Wo sie von ihren zahllosen elektrischen Fangarmen aufgenommen und tröpfchenweise wieder ausgeschieden wurde, denn auf diesem Weg erzählte die Stadt seine Geschichte, die rührende Geschichte eines schwachen Monsters.
    Dort, im Abwassersystem, im Netz der Kanalisation, wohin er sich geflüchtet hatte, mehr als fünf Meter unterhalb der Stadt, schauderte Primo Ramondi vor Kälte und wickelte sich enger in seinen Schlafsack. Er konnte nicht schlafen, schon seit mehr als zwei Tagen nicht mehr. Sobald er die Lider schloss, nahmen in seiner Dunkelheit furchterregende Bilder vor ihm Gestalt an. Er hörte ein Rascheln und schaltete die Taschenlampe an. Der Lichtstrahl stach ihm schmerzhaft in die Augen. Dann sah er, wie eine große Ratte in ein Loch schlüpfte und dort verschwand. Erneut untersuchte er sein Versteck. Das hatte er seit Sonnenuntergang ständig getan. Genau wie in der Nacht zuvor. Der Schmutz weckte in Primo Ramondi das Gefühl, moralisch befleckt zu sein, und davor floh er seit Jahren. Seit die weißen Fliesen ihre Makellosigkeit eingebüßt hatten, durch das Blut und die schreckliche Natur des Kindes, das sich ihm nackt und schamlos dargeboten hatte. Seit er den zarten Duft von Violinos weißen Laken entdeckt hatte, die so frisch und rein rochen. Seit er gerettet worden war. Er umklammerte mit seinen Fingern die Schlüssel zum alten Lieferwagen seines ehemaligen Lehrmeisters.
    Die Betonwände waren mit dunklen Flecken überzogen, von Schimmel, Algen, chemischen Ablagerungen. Eine zitternde Lichtquelle über dem Gully verbreitete ein gespenstisches Halbdunkel. Da war noch eine Ratte, sie hatte sich auf die Hinterbeine gestellt und schnupperte. Nun schnellte sie blitzartig vor und ihr nackter, rosafarbener Schwanz zuckte dabei wie eine Schlange. Primo blickte ihr nach, während sie langsam davontrabte. Im Maul trug sie eine dicke Kakerlake, die immer schwächer mit den Beinen zappelte. Dann hörte er noch, wie die Ratte mit ihren spitzen Zähnen krachend den Chitinpanzer durchbiss.
    Genauso hatte es geklungen, als er den kleinen Vogelkopf in seinem Mund zerbiss. Weil dieser Polizist Bescheid wusste.
    Seit zwei Tagen, seit der Schirokko wehte, seit er seine Wohnung hatte verlassen müssen, die so weiß und keimfrei war wie reine Milch, hatte Primo Ramondi nicht aufgehört zu weinen. Die Tränen sickerten aus seinen Augen wie aus zwei Lecks in einem Damm. Die Last, die er

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