Inkubus
holte Boiron einen dicken Schlüsselbund aus seiner Tasche und öffnete zwei mehrfach gesicherte Schlösser, bevor er die Tür aufstieß.
»Angst vor Dieben?«, fragte Frese.
Amaldi stieß ihm mit dem Ellbogen in die Rippen.
Der Richter gab keine Antwort. Er betrat vorsichtig seine Wohnung, legte einen Finger an die Lippen und sagte dann leise: »Warten Sie hier. Ich schaue nach, ob meine Frau schläft.«
Kurz darauf erschien Boiron mit ärgerlicher Miene wieder, gefolgt von einer jungen, sehr schönen Frau. Die Gattin des Richters trug ein sandfarbenes, kurzes, tief ausgeschnittenes Seidennachthemd, das von zwei schmalen Trägern gehalten wurde. Darüber einen reichlich durchsichtigen Morgenmantel, in einem blassen Rosaton, der an die Farbe von Blütenblättern erinnerte. Der Gürtel hing von der Taille lose bis auf den Boden. Die Gemahlin des Richters war fast noch ein Kind.
»Gehen wir in mein Arbeitszimmer«, sagte Boiron brüsk.
»Nein, Schatz«, sagte die junge Frau, wobei sie Amaldi die Hand reichte und Frese jedoch vollkommen übersah. »Bring unsere Gäste doch ins Wohnzimmer, dort haben wir es viel gemütlicher.«
»Ich glaube kaum, dass deine Anwesenheit hier erforderlich ist …«, begann der Richter.
Doch seine Frau hakte sich lachend bei Amaldi unter und führte ihn in einen großen Raum, dessen Wände bis zur Decke mit Bildern übersät waren. Frese schloss sich an und versuchte vergeblich, nicht auf die schwingenden Hüften der jungen Frau zu starren. Als Boiron dies bemerkte, schob er sich mit seinem mageren Körper zwischen seine Ehefrau und den Polizisten.
Die Frau bot Amaldi einen Platz auf dem Sofa an und setzte sich neben ihn. Die schlimmen Ereignisse des Abends schienen sie völlig kaltzulassen. Sie zog die Beine hoch und lehnte sich gegen das Polster, ihre Schenkel dicht neben Amaldi.
»Möchten Sie etwas trinken?«, fragte sie ihn, beugte sich dabei zu ihm hinüber und streifte ihn leicht mit ihrer überaus gepflegten Hand, deren Fingernägel lackiert und ungemein lang waren.
Doch Amaldi lehnte ihr Angebot ab und antwortete, sie würden nur so kurz wie möglich bleiben. Doch er konnte nicht übersehen, wie dabei ihr Nachthemd verrutschte und im Ausschnitt ihre rechte Brust mit einer großen rosa Brustwarze sichtbar wurde, die farblich genau zu ihrem durchsichtigen Negligé passte. Die Frau lächelte und zog den Träger aufreizend langsam wieder hoch.
»Also, was wollen Sie wissen?«, fragte Boiron mit vor Eifersucht bebenden Nasenflügeln. »Liebes, vielleicht ist es besser, wenn du herüber kommst«, sagte er und klopfte mit der Hand auf den Platz neben sich.
»Nein, ich sitze hier sehr bequem«, sagte sie, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Ihre Hand lag noch auf ihrer Brust und ihre Finger spielten mit dem schmalen Seidenträger des Nachthemds.
Boiron erzählte nun seine Version der Ereignisse. Amaldi und Frese unterbrachen ihn dabei nicht, sondern hörten ihm aufmerksam zu. Als der Richter seine Geschichte beendet hatte, holte Amaldi einige Notizen aus der Jackentasche und las sie schweigend einige Minuten lang durch. Signora Boiron beugte sich zu dem Blatt hinüber.
»Ich bin nun mal neugierig«, sagte sie kichernd und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
Boiron setzte sich aufrecht hin. Frese starrte ihn an.
»Genau wie ich …«, antwortete ihr Amaldi lächelnd.
Bei den Notizen, die Amaldi noch einmal durchging, handelte es sich um eine erste Auflistung der Ereignisse, die ihm die Funkzentrale der Polizei durchgegeben hatte. Richter Boirons Anruf war um 0.28 Uhr eingegangen. Davor hatte es bereits drei andere Hinweise gegeben. Den ersten um 0.07 Uhr. Den zweiten um 0.09 Uhr. Und den dritten um 0.13 Uhr. Der Richter hatte eine Viertelstunde nach dem letzten und gut zwanzig Minuten nach dem ersten Anruf verstreichen lassen, bevor er die Polizei informiert hatte. Auf der gesamten Fahrt zum Tatort hatte Amaldi über diese Fakten nachgedacht.
»Wann, sagen Sie, ist die Tat verübt worden?«, fragte Amaldi Boiron.
»Das habe ich gar nicht erwähnt.«
Amaldi starrte ihn schweigend an. Der Richter hielt seinem Blick stand. Er hatte nicht die Absicht, sich einschüchtern zu lassen. Darauf wandte sich Amaldi lächelnd an dessen Ehefrau.
»Kurz vor halb eins«, sagte Boiron resigniert.
»Können Sie das vielleicht ein wenig präzisieren?«, bat ihn Amaldi. Sie hatten seine Schwachstelle entdeckt.
»Vielleicht um 0.25 Uhr?«, meinte nun Frese, der das Spiel seines
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