Inkubus
Vorgesetzten durchschaut hatte.
»Kann sein …«, sagte Boiron kühl. »Ich habe nicht auf die Uhr gesehen.«
»Aber … nur dass wir uns richtig verstehen …«, legte Frese nach. »Sie haben gleich danach die Polizei informiert, richtig?«
»Nicht sofort … Ich stand unter Schock, ich musste erst mal hoch in die Wohnung … Und dann habe ich mir noch das Gesicht mit kaltem Wasser bespritzt, bevor ich angerufen habe.«
»Und wie lange, denken Sie, hat das gedauert?«, trieb ihn Frese in die Enge.
»Das weiß ich nicht.«
»Vielleicht können Sie uns ja weiterhelfen, Signora …«, reagierte Frese darauf.
»Fünf Minuten!«, platzte Boiron heraus. »Zehn vielleicht! Was ist daran denn so wichtig?«
Schweigen senkte sich über den Raum. Amaldi drehte die Notizen in seinen Händen.
»Erinnern Sie sich an Primo Ramondi?«, fragte er Boiron.
Der sah ihn verblüfft an.
»Sie haben entschieden, nicht weiter gegen ihn zu ermitteln. Aus Mangel an Beweisen, nicht wahr?«, fuhr Amaldi fort.
»Was hat das denn damit zu tun?« Boiron sprang auf.
»Sie haben um 0.28 Uhr angerufen«, sagte Amaldi.
»Warum fragen Sie mich danach, wenn Sie es schon wussten?«, entgegnete der Richter nervös und lief im Zimmer auf und ab.
»Sind Sie ganz sicher, dass Sie den ungefähren Zeitpunkt des Mordes nicht kennen?«, fragte Frese.
»Ich habe es Ihnen doch gesagt. Vor halb eins.«
»Vor halb eins könnte auch um elf sein«, meinte Frese.
»Kurz davor!«
»Fünf Minuten? Zehn Minuten?«
»Aber ja … sicher …« Der Richter schaute besorgt auf seine Frau.
Die beachtete ihn überhaupt nicht. Ihr Kopf lag jetzt fast auf Amaldis Schulter.
»Ja und?«, fragte Boiron gereizt.
Amaldi setzte sich aufrecht hin und sah ihn direkt an.
»Der erste Anruf kam von jemandem aus dem Haus gegenüber. Der zweite von dieser armen Frau aus dem ersten Stock. Der dritte von dem Besitzer der Dachwohnung. Neunzehn Minuten nach dem ersten Anruf … ist die Streife hier eingetroffen …«
»Hören Sie, Commissario«, sagte Boiron ungeduldig, »diese Auflistung mag für Sie ja äußerst interessant sein, aber ich …«
»Aber Sie«, unterbrach ihn Amaldi und klang jetzt wesentlich aggressiver, »hatten da noch nicht einmal angerufen. Ihr Anruf kam erst zwei Minuten später … Da waren nach dem ersten Hinweis genau einundzwanzig Minuten vergangen … Und ein paar mehr seit dem Mord. Was haben Sie all diese Zeit über getan?«
Boirons Ehefrau kicherte los, was Amaldi nicht für einen Zufall hielt.
»Jetzt reicht es!«, schrie Boiron, ging zu seiner Frau und packte sie am Arm. »Setz dich da rüber!«
»Fass mich nicht an!«, erwiderte sie eisig.
Der Richter ließ sie los.
Amaldi stand auf.
»Für den Moment ist das alles«, sagte er. »Sie kennen ja das Procedere. Ich bitte Sie also, morgen in der Abteilung Serienverbrechen vorbeizukommen und Ihre Aussage protokollieren zu lassen …« Dann sah er Boirons Ehefrau an. »Versuchen Sie zu schlafen, Signora, und entschuldigen Sie bitte die Störung.«
»Sie wissen doch, wo die Abteilung ist?«, fragte Frese den Richter, bevor er das Zimmer verließ. Amaldi und Boiron folgten ihm.
»Gehen wir jetzt nach oben auf die Terrasse?«, fragte Frese Amaldi, nachdem der Richter die Tür hinter ihnen geschlossen hatte.
»Ich kenne mich mit Knoten nicht aus … Und ich glaube nicht, dass wir da mehr finden als ein paar verknotete Seile. Je weniger Leute dort herumtrampeln, desto besser ist es für die Spurensicherung und die Rekonstruktion des Tathergangs.«
Als sie das Haus verließen, waren Spurensicherung und der Gerichtsmediziner schon rund um die Leiche bei der Arbeit. Als Amaldi zum ersten Stock hinaufsah, entdeckte er, dass der Kopf entfernt worden war. Und er bemerkte eine Kühlbox. Vermutlich war er darin für den Transport verpackt. Amaldi ging zu Torrisi.
»Ich möchte, dass Boiron rund um die Uhr bewacht wird«, sagte er ihm.
Torrisi nickte. »Ist er der Nächste?«, fragte er.
»Wir sollten alles tun, damit wir es nie erfahren«, sagte Amaldi. »Rund um die Uhr, Tag und Nacht«, wiederholte er.
Amaldi und Frese gingen einige Schritte.
»Was hat Boiron in diesen zwanzig Minuten gemacht?«, fragte Frese.
»Das werden wir später seine Frau fragen … Sie scheint es ja gar nicht erwarten zu könen, uns das zu verraten … oder ihren Ehemann zu demütigen. Was für sie wohl das Gleiche ist«, überlegte Amaldi. »Aber ich glaube kaum, dass das für unsere Ermittlungen wichtig
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