Inkubus
nickte. »Sie mag dich«, sagte sie mit veränderter Stimme. »Normalerweise hasst sie die Leute, die hierherkommen … zu Recht.«
»Kinder mögen mich immer. Ich bin einer von ihnen.«
Die Prostituierte schaute ihn an, als würde sie ihn zum ersten Mal sehen. »Was willst du?«, fragte sie. »Ich werde nicht aussagen, falls du das fragen wolltest«, und wies mit dem Kopf auf das Nebenzimmer. »Ich habe Angst um sie.«
»Dann bring sie doch von hier fort.«
»Das ist nicht so einfach.«
»Reden ebenso wenig, wenn einem der Mund so zugerichtet ist … Und doch schaffst du es.«
»Du weißt doch, wie das hier läuft im Käfig.«
»Ja …«
»Ich habe mich mit den anderen unterhalten …«, sagte die Frau und flüsterte nun beinahe. »Ich weiß nicht, warum er uns ausgesucht hat … Vielleicht hatten wir einfach nur Pech. Aber eine … die fünfte … die ist etwas Besonderes. Habt ihr euch nie gefragt, warum er ihr nichts getan hat?«
»Weil sie nur eine Zeugin war …«
»Der zerschneidet gern Frauen. Aber sie …«
»Also, warum?«
Auf dem Gesicht der Prostituierten zeigte sich so etwas wie Würde. »Wenn ihr Polizisten bei Nutten ebenso sorgfältig ermitteln würdet wie bei normalen Leuten, hättet ihr den Grund schon längst allein herausgefunden.«
Palermo sah sie lange an. »Bring Anita von hier fort«, sagte er. »Im Käfig wird dir niemand Probleme machen. Das garantiere ich dir.«
Die Prostituierte senkte die Lider und spielte mit den Fransen der Tagesdecke. »Möchtest du einen Kaffee?«, fragte sie dann und schaute auf.
Aber Palermo war bereits gegangen.
Luz, der wieder seine Kittelschürze trug, wischte mit einem Lappen voller Bleichmittel den Boden des Schlafsaals und nahm das Gekreische der Kinder im Hof gar nicht wahr. Er drückte den Schrubber fester auf den Boden, wischte vor und zurück, versuchte, jeden Flecken, jeden Schmutzrest zu entfernen. Vor und zurück, vor und zurück, immer im gleichen Takt. Hartnäckig widmete er sich den Schatten, den kaum wahrnehmbaren Spuren. Sog die Dämpfe des Desinfektionsmittels, das ihm in der Nase brannte und Tränen in die Augen trieb, tief in seine Lungen ein. Vor und zurück. Voller Wut. Vor und zurück. Voller Schmerz.
Keuchend machte er eine Pause.
Wandte sich zu Bett Nummer 17-B. Es war weiß, unberührt, leer. Er warf den schmutzigen Lappen in den Aluminiumeimer und schleppte sich müden Schrittes zum Bett. Er setzte sich auf die Kante und lauschte, wie die harte Matratze und der Metallrahmen unter seinem Gewicht quietschend nachgaben.
Seine Finger strichen zärtlich über die Decke, das Kissen, das Laken.
Er beugte sich hinab, um daran zu schnuppern. Sie rochen nach Waschmittel, nach Sauberkeit.
Schließlich öffnete er die Schublade des grünen Resopalschränkchens. Es war leer.
Dann zog er sich langsam aus.
»Wo ist Primo Ramondi?«, fragte Palermo und achtete nicht weiter auf die schwachen Proteste der Sekretärin, als er, ohne anzuklopfen, das Büro des Rechtsanwalts betrat. Amaldi folgte ihm wie ein Schatten.
Der Anwalt schaute von seinem mit Aktenstapeln überhäuften Schreibtisch auf und gab der Sekretärin ein Zeichen, die sich daraufhin schmollend zurückzog.
»Bitte sehr, nehmen Sie doch Platz«, sagte der Anwalt mit einem müden Lächeln.
»Wo ist Primo Ramondi?«, fragte Palermo noch einmal mit Nachdruck, durchquerte mit schnellen Schritten den düsteren Raum, in dem es nach abgestandener Luft und Rauch roch, stützte die Hände auf den Schreibtisch und beugte sich drohend zum Anwalt hinüber.
»Möchten Sie sich nicht setzen?«, sagte dieser noch einmal und hielt dem Blick des Polizisten stand. Er nahm sich die Lesebrille ab und massierte die tiefen Druckstellen am Nasenrücken. Dann warf er die Brille auf die Tischplatte vor sich und zündete sich eine Zigarette an.
Amaldi und Palermo nahmen auf den beiden Stühlen ihm gegenüber Platz. Die abgenutzten, klebrigen Kunstledersitze knarrten. An den Wänden hingen zwei vergilbte Altstadtansichten aus der Zeit der Jahrhundertwende, außerdem stand dort ein Metallregal vollgestopft mit Gesetzesbüchern, Sekundärliteratur und Aktenordnern, auf deren Rücken von Hand der Name des jeweiligen Falls notiert war.
Palermo zeigte dem Rechtsanwalt den Haftbefehl.
Dieser setzte sich wieder die Brille auf, überflog das offizielle Dokument ohne großes Interesse und paffte dann eine dichte Qualmwolke an die Decke. »Habt ihr es letzten Endes doch noch geschafft«, sagte
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