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Inkubus

Inkubus

Titel: Inkubus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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er.
    »Wir können Primo Ramondi nicht ausfindig machen«, meinte Palermo.
    Der Rechtsanwalt schaute ihn an, ohne darauf einzugehen. Sein Teint war blass, ins Gräuliche spielend. Lider und Tränensäcke waren dunkel, Zeige- und Mittelfinger von Nikotin verfärbt. »Er wird wohl das Vertrauen in die Justiz verloren haben …«, meinte er.
    »Erzählen Sie jetzt keinen Mist.« Palermo klang finster. »Sie verteidigen ihn … Das ist Ihre Angelegenheit. Aber einen Kriminellen zu schützen ist etwas anderes.«
    »Nach allem, was Sie ihm angetan haben«, meinte der Anwalt, »bräuchte mein Klient tatsächlich Schutz.«
    Palermos Blick wurde eiskalt, jeder Muskel in seinem Gesicht spannte sich. »Lassen Sie niemand Unschuldigen für meine Fehler büßen«, sagte er und betonte jedes einzelne Wort. »Sie wissen sehr gut, dass Ramondi schuldig ist. Und jetzt wissen Sie auch, dass er ein Mörder ist.«
    Der Rechtsanwalt schaute ihn lange schweigend an. »Ich dachte, Sie seien vom Dienst suspendiert …«, meinte er dann.
    »Nicht mehr«, mischte sich Amaldi zum ersten Mal in das Gespräch. Er klang so ruhig, kalt, kontrolliert. Distanziert. Als wäre er gar nicht mit im Raum. »Ispettore Capo Palermo ist vollständig rehabilitiert und wieder in den Dienst aufgenommen worden …«
    » Vollständig rehabilitiert ?«, meinte der Rechtsanwalt ironisch.
    »Ich stehe ihm jetzt bei den Ermittlungen zur Seite, und wir werden keine Schwierigkeiten haben, die Anklage wegen zweifachen Mordes vor Gericht zu bringen …«, fuhr Palermo fort.
    Amaldi rutschte unruhig, mit verkrampftem Gesicht auf seinem Stuhl hin und her.
    »Dazu kommt der Tatbestand der schweren Körperverletzung bei vier Frauen«, fügte Palermo hinzu. »Das ist schon eine merkwürdige Art, sich bei ihnen dafür zu bedanken, dass sie nicht ausgesagt haben, meinen Sie nicht auch?«
    Der Rechtsanwalt lehnte sich in seinem abgewetzten Sessel zurück. »Ganz Ihrer Meinung«, sagte er müde. »Ich weiß aber trotzdem nicht, wo er ist. Wirklich nicht. Ich habe nicht die geringste Ahnung. Das letzte Mal habe ich mit ihm gesprochen, als ich ihm mitgeteilt habe, dass Sie suspendiert sind. Er war darüber nicht so froh, wie er es hätte sein sollen … er schien mir eher … ich weiß nicht, verängstigt. Aber ich kann mich auch geirrt haben … Ich bin aus ihm nie wirklich schlau geworden.«
    »Aber verteidigt haben Sie ihn trotzdem«, erwiderte Palermo.
    »Das ist eine etwas unfaire Bemerkung, meinen Sie nicht auch?«, sagte der Anwalt mit einem schwachen Grinsen in seinem grau wirkenden Gesicht. »Wir beide sind alt und zwei üble, nicht besonders originelle Charaktere, Sie und ich. Ich der Rechtsanwalt, der den Bösen verteidigt. Sie der Polizist, der zu kriminellen Methoden greift. Aber was wollen Sie tun? Das Leben ist weit weniger fantasievoll, als wir uns immer einbilden …« Mit diesen Worten nahm er eine Akte zur Hand und schlug sie auf. »Wenn Sie gestatten, jetzt muss ich mir wieder die Hände schmutzig machen …«
    Amaldi und Palermo verließen sein Büro. Vor dem Haus lag eine unpersönliche Verkehrsader an der Grenze zwischen der Altstadt und dem Rest der Stadt. Eine Durchgangsstraße, die weder die Züge der einen noch der anderen Seite der Stadt trug und zu keiner von beiden gehörte. Düstere Geschäfte, anonyme Hauseingänge.
    Palermo betrat die Straße, mitten auf der Fahrbahn blieb er stehen und drehte sich um. Ein Autofahrer hupte.
    Amaldi hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Sein Blick war leer, sein Verstand völlig verwirrt. Die Welt, seine Welt geriet völlig aus den Fugen.
    »Kommst du?«, schrie Palermo.
    Amaldi folgte ihm. Was sollte er sonst tun? Den Schreiner spielen?
    »Gehen wir ins Dover Beach «, sagte Palermo und stürzte sich in das ewige Dunkel der Altstadt vor ihnen. »Das ist ein Lokal …«
    »Jaja, ich weiß schon, was das ist«, unterbrach ihn Amaldi und lief unwillig mit gesenktem Kopf, wie ein Gefangener, hinter ihm her. Er konnte nicht einmal Wut in sich spüren.
    Ein alter Mann grüßte ihn. Amaldi antwortete mit einem flüchtigen Kopfnicken, bevor er wieder in seinen Albträumen versank.
    »Ach, ich habe ganz vergessen, dass du hier im Käfig so etwas wie eine Berühmtheit bist«, zog Palermo ihn auf. »Der Wunderknabe. Der es zu etwas gebracht hat.«
    Amaldi antwortete nicht.
    »Der Polizeipräsident hat mir erzählt, dass du eine schwierige Kindheit hattest«, fuhr Palermo im selben Tonfall fort. »Dann wurde deine Freundin

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