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Inkubus

Inkubus

Titel: Inkubus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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hin und her schwanken, die Palermo vor Augen hatte, als wäre er auf dem Wasser. Draußen auf einem fernen See.
    Versprich mir, dass du niemals erwachsen wirst. Versprich mir, dass du immer mein kleiner Junge bleibst.
    Palermo verlor sich in den Abgründen seiner Kindheitserinnerungen.
    Noch ehe er die Augen öffnete oder der Taxifahrer ihm gesagt hatte, dass sie ihr Ziel erreicht hatten, konnte er den Käfig riechen, es stank nach Brackwasser, Katzenpisse und benutzten Kondomen. Er bezahlte, stieg aus und ging zu einer Tür im Erdgeschoss, wo er klopfte. Alle Huren wohnten im Erdgeschoss. Das war beinahe wie auf der Straße, aber vor der Witterung geschützt. Und die Straße war ja ihr Schlachtfeld.
    »Du schon wieder?«, fragte ihn die Frau, ihr Gesicht hatte sie mit einem Schleier verhüllt.
    »Geh zur Seite und lass mich rein!«, herrschte Palermo sie an.
    »Ihr seid doch alle widerliche Mistkerle«, schimpfte die Frau und ging in Richtung Schlafzimmer. »Und du bist der widerlichste von allen.«
    »Schlimmer als der, der dich so zugerichtet hat?«
    Die Frau zuckte mit den Schultern. Von hinten sah es beinahe wie ein Schluchzen aus. Dann ließ sie sich aufs Bett fallen. Dicke Fettwülste verunzierten diesen Körper, der weder dafür geschaffen schien, zu gefallen noch Liebe zu schenken. Es war ein schwerer Körper, der für die Arbeit auf den Feldern, in Minen, eben für Plackerei geboren war. In ihren fleischigen nackten Rücken schnitten die dünnen Bänder ihres Netztops so fest ein, dass überall das Fett hervorquoll und sich der Vergleich mit einer gut geschnürten Salami aufdrängte. Das Ganze wirkte keineswegs so sinnlich und verführerisch, wie die Prostituierte glaubte. Knallenge Hosen quetschten die von Natur aus flachen Hinterbacken so sehr zusammen, dass ihr Po zwar ausladend, aber bedauerlich platt wurde. Die grellbunten, mit Glitzersteinen besetzten Clogs konnten nicht von der Hässlichkeit der kurzen, wulstigen und verwachsenen Zehen ablenken.
    Aber als sie sich umdrehte und den Schleier beiseiteschob, ließ der Anblick Palermo diese Gedanken vergessen. Die Lippen der Frau waren geschwollen und von Blut, Serum und Desinfektionsmitteln gerötet. Was rings um den Mund wie Borsten aussah, waren in Wirklichkeit die Stiche, es mussten mindestens zwanzig sein, mit denen die Wunde genäht worden war. Die Frau war regelrecht angefressen worden. Auch auf der Brust zeichneten sich unter dem Stoff dicke Verbände ab.
    Die Augen der Prostituierten waren hart und starrten ins Leere.
    »Hast du dich entschlossen auszusagen?«, fragte Palermo die Prostituierte.
    »Geh einfach davon aus, dass er mir auch die Zunge abgebissen hätte, du mieser Scheißkerl.«
    Palermo setzte sich auf die Bettkante. »Hast du eine Ahnung, warum er das ausgerechnet dir angetan hat?«
    »Wer?«
    »Hat er irgendetwas Besonderes zu dir gesagt?«
    Die Hure sah ihn misstrauisch an. »Ja …«
    »Was?«
    » Ham-ham «, sagte sie und versuchte zu lachen, aber ihre Mundwinkel hoben sich nicht.
    »Wir sind dabei, ihn zu schnappen …«, sagte Palermo und wandte sich zum Gehen.
    Er blieb stehen, weil er hörte, wie die Eingangstür sich öffnete, und drehte sich um. Kurz darauf erschien in der Tür ein etwa elfjähriges Mädchen, das mühsam eine Einkaufstasche schleppte.
    »Oh, Entschuldigung«, murmelte sie und schaute zu Boden, als sie Palermo bemerkte. Dann wollte sie wieder gehen.
    »Ich bin ein Polizist«, sagte er zu dem Mädchen.
    Das Mädchen schaute ihn immer noch unentschlossen an. Sie war unauffällig gekleidet, hatte kurze Haare, ein unschuldiges Kindergesicht und einen zierlichen Körper, der nicht so aussah, als würde er einmal so in die Breite gehen wie der der Prostituierten.
    »Ich bin dienstlich hier«, fügte Palermo an.
    »Geh nach nebenan, Anita«, sagte die Hure mit einem ängstlichen Ausdruck in den Augen. In dem Moment bemerkte sie, dass Palermo instinktiv lächelte, ein flüchtiges Lächeln, das kurz aufblitzte und gleich wieder verschwand. Und sie sah, wie das Mädchen rot wurde und zurücklächelte, zumindest hätte sie das gerne getan. Weil sie aus Eitelkeit die Spange über ihren schiefen Zähnen verbergen wollte, deutete sie das Lächeln nur an. »Geh nach nebenan, Schatz«, wiederholte die Frau wesentlich sanfter.
    Das Mädchen warf Palermo einen letzten Blick zu und verschwand dann im Flur. Sie hörten, wie sich die Tür zum Nebenzimmer schloss.
    »Ist das deine Tochter?«, fragte Palermo.
    Die Prostituierte

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