Innenhafen
weniger wusste ich, was genau ich eigentlich besprechen wollte. Und wie. Und warum. Denn dass Max’ Selbstständigkeit erst einmal mächtig Arbeit mit sich brachte, war doch von vorneherein klar gewesen. Das konnte und wollte ich ihm nicht zum Vorwurf machen.
Volkers Anruf war gekommen, als ich mich gerade von Max verabschiedet hatte. Nun waren wir unterwegs nach Ratingen-Lintorf, zum »Haus Bethesda«, wo Volker Onkel Gerhard ausfindig gemacht hatte. Gerhard Schröder, wie der Bundeskanzler. Hahaha.
Das »Haus Bethesda« bestand aus einem Altbau aus rotem Backstein und einem kubusförmigen Neubau. »Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz«, las ich auf einem dezenten Schild an der Eingangstür. Ich betrat das Haus mit einem klammen Gefühl im Magen. Alte Menschen, die zusammen wohnten und den Lebensabend miteinander ausklingen ließen. Das war gut und auch wieder nicht, dachte ich. Denn es hatte den unangenehmen Beigeschmack von Abschieben, von aus dem Weg räumen, von aus den Augen, aus dem Sinn. Ich wusste, dass es für die meisten berufstätigen Menschen kaum möglich war, sich um die alten Menschen so zu kümmern, wie es nötig wäre. Ich könnte es selbst nicht. Und schon gar nicht hätte ich mit meinen Eltern auf engem Raum zusammenleben können oder wollen, wie es früher im Rahmen der Großfamilien einfach üblich war. Da hatte das niemand in Frage gestellt. Es war einfach so, und Alternativen gab es nicht. Basta. Gemischte Gefühle, ich sagte es ja.
Alles in allem machte das Haus einen freundlichen Eindruck, mal davon abgesehen, dass wir auf Anhieb niemanden finden konnten, der uns zu Onkel Gerhard bringen konnte. Endlich wies uns ein junger, gehetzt aussehender Pfleger den Weg zum Neubau. »Wohngemeinschaft Picasso«, rief er uns hinterher. »Zimmer 511. Aber versprechen Sie sich nicht zu viel.«
Gerhard Schröder bewohnte ein Zimmer mit Blick ins Grüne, in das er offensichtlich ein paar persönliche Sachen hatte mitnehmen können, die Sitzgarnitur und das alte Buffet beispielsweise, und auch der flauschige Orient-Teppich sah nicht so aus, als wäre er Bestandteil des gemieteten Interieurs. Ein paar großformatige Fotografien bevölkerten die weiß gestrichenen Wände, allesamt zeigten sie dichte Wälder. Auf einem war eine Hütte zu sehen, vor der sich ein Jäger, das Jagdgewehr geschultert und den Hund zu Füßen, mit ernstem Stolz vor der Kamera präsentierte.
Die Vorhänge waren in warmen Orangetönen gehalten, und eine Stehlampe mit gelbbraunem Pergamentschirm warf ein anheimelndes Licht in den Raum. Es könnte schlimmer sein, dachte ich, als ich neben Volker auf dem Sofa gegenüber von Gerhard Schröder Platz nahm. Augenblicklich begann er zu reden. Und sofort fiel mir die Warnung des Pflegers wieder ein.
»Haben Sie meinen Hund gesehen?«, fragte der alte Herr mit zittriger Stimme. »Meinen Julius?« Er zog ein zerknittertes Foto aus der Brusttasche seines Morgenmantels. Darauf war ein rotbrauner Setter zu sehen. »Julius«, sagte der alte Mann drängend. »Haben Sie ihn gesehen? Er ist weg.«
»Nein. Tut mir leid.« Volkers Stimme war erstaunlich sanft. »Wir sind gekommen, weil wir Ihnen eine schlimme Mitteilung machen müssen. Ihr Cousin Kurt Türauf ist tot.«
»Kurt? Ich kenne keinen Kurt. Meinen Hund haben Sie nicht gesehen?« Wieder hielt er uns das Foto unter die Nase. Seine Hand zitterte. Sie war von braunen Altersflecken übersät, und dicke Adern wölbten sich knotig unter der pergamenten wirkenden Haut.
»Der Kurti«, versuchte ich es. »Sie kennen doch den Kurti?«
»Hat der Kurti etwa meinen Hund?«, fragte der alte Herr misstrauisch. »Aber der Kurti hat doch Angst vor Hunden!«
»Sie kennen also Kurt Türauf«, stellte Volker fest.
»Nein. Wieso? Ich kenne keinen Kurt. Was ist denn das für einer, dass der meinen Julius einfach mitnimmt!«
Volker verdrehte die Augen.
»War der Kurti in letzter Zeit mal hier?«, versuchte ich es erneut. »Sie haben ihn doch früher immer in Ihre Jagdhütte gelassen. Ihn und seine Tochter Bettina.«
»Betti, jajaja.« Der Alte klatschte vergnügt in die Hände. »Die kleine Betti. Sie hat also meinen Julius mitgenommen?«
»Nein, Herr Schröder. Keiner hat Ihren Julius mitgenommen. Wir wollen wissen, ob der Kurti wieder in Ihrer Jagdhütte war in letzter Zeit. So wie früher mit der kleinen Betti.«
»Was für eine Jagdhütte?« Herr Schröder fixierte Volker unter buschigen Augenbrauen, und plötzlich strahlte er Autorität
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