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Innenhafen

Innenhafen

Titel: Innenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Sternberg
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sie nicht. Nicht zart. Slawischer Knochenbau eben. Aber keinesfalls hässlich. Ihre Schönheit war von wilder, zigeunerhafter Art. Und da war dieser Schnitt in der Wange. Sie hatte Angst, das spürte ich. So einfach war es also nicht, das mit der Erklärung des Goldrittertums. Warum lockten manche Frauen das in einem Mann hervor und andere nicht? Warum eine Bettina und eine Barbara, nicht jedoch eine Irina?
    Ich sah Volker an. Suchte seinen Blick. Hielt ihn fest und erkannte plötzlich, dass er sich total hilflos fühlte. Denn diese Frau hier suchte keine Unterstützung, obwohl sie sie doch so dringend brauchte. Und genau damit konnte er nicht umgehen. Er wusste absolut nicht, was er tun sollte und überhaupt tun konnte. Das war ihm verhasst.
    Ich trat neben Irina. Den Arm um ihre Schultern zu legen, traute ich mich nicht. »Erzählen Sie mir von Kurt«, forderte ich sie stattdessen auf.
    Sie sah weiter aus dem Fenster. Keine sichtbare Reaktion. Nun wagte ich es trotzdem, sie anzufassen. Die Hand auf ihren Arm zu legen. »Bitte«, sagte ich sanft.
    »Er war so lustig«, sagte sie mit tonloser Stimme. »Was haben wir immer zusammen gelacht!« Schon wieder verstummte sie. Aber sie schien nicht auf eine Antwort zu warten. Sie wirkte abwesend. Mit ihren Gedanken woanders. In einer anderen Zeit. »Er hat mich immer geneckt. ›Meine kleine russische Schwermut‹, so hat er mich genannt. ›Warum bist du denn bloß so traurig, Irina?‹, hat er mich gefragt. ›Immer hörst du diese melancholischen russischen Lieder. Als wäre es ständig Winter bei dir im Herzen.‹« Sie lächelte traurig. »›Was hast du gegen den Winter?‹, habe ich ihn gefragt. ›Der Winter ist doch schön!‹ Und dann hat er so lange gescherzt, bis ich lachen musste.«
    Na, ob dir das nicht irgendwann mal auf den Keks gegangen wäre?, dachte ich. Aber ich sagte nichts.
    »Ganz fürsorglich war er. Und so zärtlich. Und großzügig. Er hat sich gekümmert um mich. Sich kümmern, das konnte er wirklich gut. Er hat seine Tochter allein großgezogen.«
    »Sie kennen Bettina?«
    »Nein. Er wollte, dass wir uns bald kennenlernen. Aber da wurde dann ja nichts mehr draus.« Eine Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel und folgte dem Wulst auf der Wange. Ich wunderte mich, dass ihr die salzige Flüssigkeit nicht wehtat. Aber vermutlich war ihr das egal. Dass es schmerzte. Dass es wehtat. Alles kein Vergleich zu dem Schmerz, der ihr die Brust zudrückte.
    »Hatten Sie schon einen Termin für die Hochzeit?« Das war mir spontan eingefallen, und augenblicklich bereute ich die Frage.
    »Gestern. Gestern hätten wir heiraten sollen …« Sie schluchzte auf. »Und nun ist er tot! Verstehen Sie? Er ist tot!«, brach es aus ihr heraus. »Ich habe ihn geliebt, wir wollten heiraten, und jetzt ist er tot!«
    Ich nahm sie in die Arme und ließ sie weinen.
    * * *
    »Puh«, stöhnte Volker, nachdem er den Wagen aus der Parklücke manövriert hatte. »Was hältst du davon?«
    »Na, ein bisschen seltsam finde ich das schon. Erst will sie nicht mit mir sprechen. Warum?«
    »Weil sie Angst hat«, tippte Volker. »Hätte ich auch, wenn mir jemand einen solchen Schnitt zugefügt hätte.«
    »Danke. So clever bin ich auch«, sagte ich böse. »Aber dann überlegt sie es sich anders, lässt mich kommen und sagt trotzdem nicht, was passiert ist. Nicht so richtig jedenfalls, nicht alles, was sie weiß. Da bin ich mir sicher.«
    »Ja, den Eindruck hatte ich auch«, bestätigte Volker.
    »Warum?«
    Volker schwieg.
    »He, ich hab dich was gefragt!«
    Volker seufzte. »Weil sie immer noch Angst hat. Oder wieder.«
    »Hm«, knurrte ich zweifelnd. »Erklären tut das verdammt wenig. He, pass auf!« Ich trat auf eine imaginäre Bremse, als ein Fahrradfahrer vor uns vom Bürgersteig auf die Straße schoss.
    »Schon gesehen«, sagte Volker und überholte den Radfahrer lässig. »Alles im Griff.« Er lachte leise. »Eine gute Beifahrerin bist du nicht gerade.«
    »Sie sollte unbedingt zu einem Arzt gehen.« Meine Hand fuhr an meine Wange, während ich das sagte. »Warum macht sie das nicht?«
    »Weil sie Angst hat, natürlich.«
    »Kannst du auch mal was anderes sagen?«, fragte ich bissig. »Warum sollte sie denn Angst haben, zum Arzt zu gehen?«
    »Weil der das vielleicht der Polizei melden würde?«
    »Quatsch. Das darf ein Arzt nicht. Schweigepflicht heißt das. Ich glaube eher, dass sie das Haus nicht verlassen will. Davor hat sie Angst.«
    »Da könnte was dran sein«, gab Volker

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