Innenhafen
der Hütte, von der ich annahm, dass sie für den Müll da war. Augenblicklich brach Panik in der so sorgsam organisierten Kolonie aus. Kurzerhand fegte ich die Tiere vom Tisch. Dann sah ich mich weiter um.
Ein Stuhl, in dessen Lehne ein großes Herz gestanzt war. Auf dem Stuhl lagen Jeans, T-Shirt und Sweatshirt in verwaschenen Grautönen. Eindeutig Männerklamotten. Und eindeutig nicht mehr ganz taufrisch. Ein gusseiserner Ofen mit einem Korb voller Brennholz daneben. Eine Pritsche, gerade mal einen Meter breit, mit klamm wirkendem Bettzeug darauf. Die Garderobe war dreibeinig. Ein Jägerhut mit Gamsbart und eine dicke Filzjacke hingen daran. Außerdem eine piekfeine Lederjacke. Bestes, weich gegerbtes Büffelleder. Alles hier sah aus, als hätte derjenige, der in der Hütte hauste, bald zurückkehren wollen.
Volker zog eine kleine Reisetasche unter der Pritsche hervor und machte sich daran zu schaffen. »Guck doch mal in den Jacken an der Garderobe nach, ob du was findest«, schlug er vor.
Mit spitzen Fingern griff ich in die Innentasche der Lederjacke. Zog ein Notizbuch heraus, das mit enger Schrift in kleinen, unleserlichen Buchstaben beschmiert war, die ich nicht entziffern konnte bei dem nunmehr nur noch schwachen Tageslicht, das durch das Fenster fiel. In der einen Jackentasche fand ich eine Digitalkamera, in der anderen ein Handy. Schweigend legte ich die Fundstücke auf den Tisch, auf den Volker kurz zuvor einen Schnellhefter mit Fotokopien gelegt hatte.
»Der war in der Tasche«, sagte er und wandte sich wieder der Pritsche zu, auf der die Reisetasche lag. Dann pfiff er leise durch die Zähne. Als er sich wieder zu mir umdrehte, hatte er einen kleinen Bilderrahmen in der Hand. »Womit wohl bewiesen wäre, dass das hier Kurtis Zeug ist.«
Aus dem mattierten Bilderrahmen lächelte ein junges Mädchen scheu und großäugig in die Kamera. Bettina.
Es war schon fast dunkel, als wir die Hütte wieder verließen. Zwar hatten wir das Häuschen systematisch nach Verstecken durchsucht und zum Schluss sogar Fußbodendielen und die hölzerne Wandverkleidung auf eventuelle Hohlräume hin abgeklopft, aber nichts weiter von Interesse gefunden.
Der stete Landregen, der uns schon den ganzen Tag über begleitet hatte, war in einen kräftigen Wolkenbruch übergegangen. Wir rannten zum Auto, den Kopf zwischen die hochgezogenen Schultern geduckt.
Erleichtert ließ ich mich auf den trockenen Sitz plumpsen. »Ich hoffe, deine Heizung geht«, sagte ich zähneklappernd. »Mir war in der Hütte schon so furchtbar kalt.«
»Keine Bange, wird gleich warm.« Volker startete den Motor. Langsam holperten wir den Waldweg hinunter, den wir vor zwei Stunden hinaufgefahren waren. Die Scheibenwischer liefen auf höchster Stufe, die Scheinwerfer bahnten sich tastend durch den immer dunkler werdenden Wald.
»Man sieht ja gar nichts bei diesem Drecksregen«, schimpfte Volker aufgebracht.
Ich konnte nur zustimmen, froh, den Wagen nicht selbst steuern zu müssen. Dann sah ich es. Das heißt, ich sah nichts, wo ich etwas hätte sehen müssen. Kein Weg mehr vor uns. Alles weggespült.
»Vorsicht!«, schrie ich, aber es war zu spät. Der schwere Wagen rutschte durch den Matsch und dann langsam seitwärts den Hang hinunter. Wie in Zeitlupe. Mein Herz raste wie bescheuert, während ich mich mit beiden Händen am Haltegriff über der Beifahrertür festkrallte. Die Scheinwerfer warfen torkelnde Lichtkreise in den dunklen Wald. Schließlich kam der Wagen in ziemlicher Schräglage zum Hang zum Stehen. Ich spähte durch das Fenster und erkannte die helle Borke eines Baumes. Eines dünnen Baumes, keineswegs stabil.
»Verdammt!«, stieß Volker zwischen den Zähnen hervor und stellte den Motor ab. »Wir sollten zusehen, dass wir hier rauskommen. Ich weiß nicht, wie lange die Tanne das aushält.«
Fichte, dachte ich. Wir sind in einem Fichtenwald. Doch ich korrigierte ihn nicht.
»Ich kann hier nicht raus, die Tür ist vom Baum blockiert«, teilte ich ihm Sekunden später mit. Ich hoffte inständig, dass wir uns nur an einem der sanften Gefälle befanden, nicht an der tiefen Schlucht, die mir auf dem Hinweg aufgefallen war.
Volker schien Ähnliches durch den Kopf zu gehen. »Pass auf«, sagte er. »Ich mache meine Tür auf und schwinge die Beine aus dem Wagen, bleibe aber noch drin. Du rutschst zu mir auf die Fahrerseite rüber, ganz vorsichtig. Vor allem die Füße solltest du schon bei mir drüben haben. Wenn ich aussteige, hältst du dich
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