Innere Werte
müssen.«
»Legale Vermarktung von Organen? Schauderhafte Vorstellung. Was wäre das für eine Zukunft? Sowas wird doch niemals genehmigt.«
»Wer weiß.« Der Arzt zuckte mit den Schultern. »Je nach Regierung. So eine Idee hat auch einen politischen Aspekt. Oberender schlägt nämlich vor, dass man Hartz-IV-Empfänger dazu animiert, ihre Organe gegen Geld zu spenden, und ihnen so die Möglichkeit bietet, ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Unter den Politikern finden sich sicher einige, die das gut heißen. Schließlich könnte das die Staatskasse entlasten und die Armut verringern.«
»Hartz-IV-Empfänger? Bielmann war auch Hartz-IV-Empfänger«, sagte Martin nachdenklich.
»Ach Gott!«, rief Stieber. »Das passt ja perfekt in ihr Bild. Aber das scheint mir doch eher Zufall zu sein. Schließlich gibt’s Hartz-IV-Empfänger wie Sand am Meer. Also nicht, dass Sie den Oberender jetzt verdächtigen. Ich bin sicher, es gibt nicht nur einen wie ihn in Deutschland. Er ist nur der Erste, der diese Idee öffentlich kundtut.«
»Jemand, der der gleichen Meinung ist wie er, aber rechtlich noch keine Handhabe hat, könnte sich doch illegal bei den Spendewilligen bedienen und die große Kohle machen.«
»Der Gedanke liegt nahe. Ich könnte mir schon vorstellen, dass so mancher Arzt der Versuchung nicht widerstehen kann, zumal die Anzahl der benötigten Organe immer größer wird. Da lassen sich Skrupel schnell vergessen.«
»Was zur Folge hätte«, führte Martin den Gedanken weiter, »dass eine neue Form von Kommerz entsteht. Und wie das mit begehrten Waren so ist, werden sie Grund für eine Vielzahl von Verbrechen sein. Durch solche Ärzte könnte es den Lebenden als Warenlager an den Kragen gehen.«
»Durchaus.«
»Aber ist das wirklich realisierbar? Ich meine, das kann ja keiner alleine machen.«
»Ich glaube nicht, dass man sehr viele Leute braucht.«
»Wie viel Mann sind für so eine OP nötig?«, wollte Martin wissen.
»Die kann man schon mit zwei, drei Leuten durchziehen. Wenn das Team gut ist, geht das.«
»Aber die ganze Organisation, die dazugehört?«
»Das kann ich nicht beurteilen. Vielleicht lassen Sie sich das mal von einem Fachmann erzählen. Die Ärzte im Dialysezentrum wissen da sicher gut Bescheid.«
»Ja, das werde ich.« Martin trank seinen Kaffee aus. »Sagen Sie, wissen Sie, ob es in Deutschland schon mal einen Fall von illegalem Organhandel gab?«
»Sie sind doch von der Polizei. Was fragen Sie mich?«
»Berechtigter Einwand. Aber womöglich hatten Sie schon mal einen mit fehlenden Organen auf dem Tisch?«
»Von meiner Seite aus wüsste ich keinen Fall, der auf Organhandel schließen lässt.« Stieber kratzte sich am Kopf. »Aber ich glaube, dass in Deutschland ein Organhandel mit den Hirntoten, oder den Nicht-zu-Ende-Gestorbenen, wie ich sie nenne, stattfindet. Die Rechtslage rund um die Organspenden ist ziemlich diffus. Bei uns wird ein Mensch schon zur Organspende freigegeben, der zum Beispiel in Dänemark noch als lebendig gilt. In Amerika allerdings ist man wesentlich schneller tot als in Deutschland. Aufgrund dessen frage ich mich schon, ob durch Todesdiagnosen, die geräteabhängig gestellt werden, lebenserhaltende Maßnahmen zu kurz kommen. Ärzte sind fast unangreifbar, weil sie die Macht über die Definition des Todes haben. Nur sie können die korrekte Handhabung der Hirntod-Diagnose beurteilen. Solche Situationen sind nicht wirklich kontrollierbar. Wie sollte man eine Verfehlung nachweisen?«
»Wollen Sie sagen, dass es Ärzte gibt, die aufgrund mangelhafter Gesetze ihre Macht missbrauchen, um an Organe zu kommen? Und dass sie durch eine falsche Diagnose einen Fast-Toten zur Organbank machen?«
»Das ist eine reine Vermutung. Noch dazu die eines Mannes, der berufsbedingt an das Schlechte im Menschen glaubt.«
»Mir kommt da ein Gedanke.« Martin starrte in seinen leeren Kaffeebecher. »Vielleicht sollte ich in der Humboldt-Klinik mal eruieren, wie viele Hirntote sie da durchschnittlich explantieren.«
»Wenn Sie das machen, vergessen Sie nicht, dass man mit ziemlicher Sicherheit ärztliche Fehlentscheidungen nicht beweisen kann. Das kann für Sie enttäuschend enden.«
»Ich bin Kummer gewöhnt. Apropos Kummer. Ich muss unseren netten Kaffeeklatsch leider beenden. Ich hab heute noch ein bisschen was auf dem Programm stehen.«
Martin verabschiedete sich von Stieber und wünschte ihm »Frohe Weihnachten!«
Der Kommissar saß eine ganze Weile schweigend im Wagen
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