Innere Werte
konstruieren.«
»Wir werden ihn deswegen befragen. Und nicht nur ihn. Im Augenblick ist die Spurensicherung noch in der Wellner-Villa. Ich habe ihnen angetragen, sich äußerst gründlich umzusehen.«
»Wie lautet jetzt Ihre Arbeitshypothese?«, fragte Milster abschließend.
»Wir gehen davon aus, dass das Opfer gegen siebzehn Uhr vergiftet wurde und am späten Abend auf der Niedernhausenerstraße abgelegt wurde, um die eigentliche Straftat zu verschleiern. Jetzt ist zu klären, ob der Fahrer des Wagens tatsächlich auch der Mörder ist oder nur zufällig in die Sache verwickelt wurde. Die Spurensicherung hat am Tatort aufgrund des direkten Kontaktes von Auto und Opfer Hinweise wie Lackspuren und Profilmuster gefunden. An der Kleidung der Toten konnten Ölreste sowie Schmutz von der Unterseite des Wagens sichergestellt werden. Das alles könnte, wenn wir Glück haben, zum Tatfahrzeug und eventuell auch zum Fahrer führen. Außerdem werden wir Familie und Nachbarn befragen. Das ganze Programm eben. Schließlich müssen wir nicht nur diesen Mord aufklären, sondern auch den Zusammenhang zu den anderen Fällen herstellen. Das scheint mir fast das Wichtigste zu sein.«
»Glauben Sie, wenn Sie einen Fall geklärt haben, sind die anderen auch erledigt?«
»Ich hoffe es sehr. Ein Zusammenhang ist so sicher wie das Amen in der Kirche.«
»Na, dann haben Sie ja noch ein bisschen Arbeit vor sich. Aber legen Sie die Priorität auf den Tod der Wellner-Gattin.«
Martin fragte sich, ob Milster diese Forderung aus beruflichen Gründen stellte oder weil er grundsätzlich Menschen aus der gehobenen Gesellschaft bevorzugte, sogar über den Tod hinaus.
67
Die Männer des K11 teilten sich die Befragungen am Nachmittag auf. Martin und Michael fuhren zu Steffen Wellner, den sie in seinem Wohnzimmer an der Seite einer etwa dreißigjährigen Frau fanden.
»Und wer sind Sie ?«, fragte Martin.
»Ich bin Karola Wellner, die Schwester des Opfers«, antwortete sie, ohne sich aus dem Sessel zu erheben, geschweige denn, Martin die Hand zu reichen.
Etwas an ihrem Tonfall und ihrer Wortwahl störte Martin. Sie klang kalt und mechanisch. Auch ihr Blick war irgendwie merkwürdig. Der Kommissar beobachtete die Frau genau, die ihre extrem langen Beine übereinanderschlug und die gefalteten Hände um die Knie legte. Sie hatte die gleichen braunen Haare wie ihre Schwester, nur dass ihre kurz und lockig waren. Lediglich der Pony war glatt in die Stirn gekämmt. Die braunen, schrägstehenden Augen sahen Martin hinter einer runden Harry-Potter-Brille abschätzend an. Ihre Augenbrauen fehlten. Offensichtlich waren sie Opfer eines Rupf-Massakers geworden und nun durch eine Panne beim Permanent-Make-up deutlich zu hoch aufgetragen worden. Das verlieh ihr einen stets gleichbleibenden, überraschten Gesichtsausdruck. Ihr Nasenrücken war gerade und die Nasenspitze nach oben gerichtet. Sie erinnerte Martin an eine Sprungschanze.
»Wissen Sie schon, was da passiert ist?« Ihre Stimme klang gereizt.
»Wir sind dabei, es herauszufinden. Wo wohnen Sie, Frau Wellner?«
»In Bad Kreuznach. Ich habe dort eine Tanzschule«, sagte sie nicht ohne Stolz.
»Würden Sie bitte mit meinem Kollegen Pichlbaur nach nebenan gehen, um einige Fragen zu beantworten? Ich müsste inzwischen mit Ihrem Schwager sprechen.«
Widerwillig erhob sie sich und folgte Michael.
»Herr Wellner«, setzte Martin gerade an, als sein Handy klingelte. Dieter meldete sich aus der Humboldt-Klinik, wo er mit der Sekretärin von Steffen Wellner gesprochen hatte. Sie hatte bestätigt, dass ihr Chef um sechzehn Uhr fünfundvierzig das Krankenhaus verlassen hatte, ohne ihr zu sagen warum. Er sei ziemlich ungehalten gewesen, aber schon um siebzehn Uhr fünfzehn wieder zurückgekehrt. Die Frage nach einer Geliebten wies sie kategorisch von sich. Dr. Wellner sei ein ehrbarer, treuer Mann.
»Vermutlich ihre ganz persönliche, subjektive Sichtweise«, sagte Dieter abschließend und beendete das Gespräch.
»Wie ich gerade gehört habe«, wandte sich Martin Steffen Wellner zu, »bestätigt Frau Christ, dass Sie gestern Nachmittag kurz nach Hause gefahren sind.«
»Da hat mich einer richtig verarscht«, schimpfte er, ähnlich wie heute Morgen.
»Fakt ist, dass Sie exakt in der Zeit zu Hause waren, als Ihre Frau ermordet wurde. Sie starb, wie wir inzwischen wissen, gegen siebzehn Uhr an einer Überdosis Mivacurium .«
»Sie klingen so, als ob Sie mir unterstellen wollen, dass ich meine
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