Innere Werte
Erkenntnis wie ein Faustschlag traf. »Er hat uns doch damit auf diesen Nierenhandel gestoßen und auf Wellners Spur gebracht. Warum? Er wollte, dass sie bestraft werden. Stellt euch mal vor, was für eine Wut der Junge seit Jahren haben muss.«
»Sofern er die ganze Geschichte kannte«, gab Dieter zu bedenken.
»Er muss es gewusst haben. Sonst hätte er mich nicht angelogen. Nachdem er uns das erste Tagebuch gebracht hatte, wurde Wellner verdächtigt, aber wieder laufen gelassen. Wenn er gewollt hätte, dass wir die Ärzte wegen Organhandels festnehmen, hätte er uns das zweite Tagebuch gegeben. Denn da waren ja auch Namen drin. Und gerade sein Fall hätte diese Saubande noch stärker belastet. Warum hat er das nicht getan?« Die Frage stand unbeantwortet im Raum und Martin fuhr fort: »Dann starb Wellners Frau und im ersten Moment sah alles so aus, als sei es Steffen Wellner gewesen. All die Spuren und Indizien. Das Hemd, die Ampulle, die Spritze.« Martin hielt inne. »Ja, die Spritze mit Stadlers Fingerabdrücken. Damit war auch Stadler verdächtig.«
»Willst du sagen, der Junge …?« Dieter verschlug die Vorstellung fast die Sprache.
»Das hieße ja, er hätte seine eigene Mutter umgebracht«, sagte Paul entgeistert.
»Und Susanne Wellner«, murmelte Michael. »Und das vielleicht nur, um Wellner und Stadler als Mörder hinter Gitter zu bringen? Das macht doch nicht wirklich Sinn. Da hätte er die beiden Männer gleich selbst umbringen können, statt eine Unschuldige.«
»Wenn sie unschuldig war«, gab Dieter zu bedenken.
Martin fuhr sich durch die Haare. »Ich will gar nicht weiter darüber nachdenken. Ich will erstmal mit Tobias reden. Aber wer auch immer hinter all dem steckt, hat es sicher auch auf Wellner und Wolff abgesehen. Sicherheitshalber teilen wir uns auf und fahren zu allen drei.«
Fünfzehn Minuten später verständigten sie sich per Handy und berichteten, dass keine der gesuchten Personen zu Hause oder in der Klinik war. Sie wussten aber, dass sich Delia im Krankenhaus eine halbe Stunde vor Schichtende abgemeldet hatte. Sie musste aufgrund einer SMS dringend weg. Und Wellner war zu Hause, als seine Putzfrau beobachtet hatte, wie er davonfuhr, nachdem sein Handy oder sein Funkmeldeempfänger aus dem Krankenhaus gepiepst hatte.
Der Kommissar gab den Auftrag, die Handys von allen drei Gesuchten zu orten, wenn möglich. Dann machten sie sich auf den Rückweg. Während Michael den Wagen steuerte, rutschte Martin nervös auf dem Beifahrersitz herum.
»Michael«, sagte er fast ängstlich, »ich will das nicht glauben.«
Michael sah, wie Martin die Lippen fest zusammenpresste und schluckte, wie jemand, der seine Tränen zurückhalten will.
»Vielleicht ist es ja auch gar nicht so. Ich halte Katrin Buhr immer noch für die Hauptverdächtige.« Er wusste, dass er nicht sehr überzeugend klang, denn auch er fing langsam an, zu zweifeln.
Martin erinnerte sich an die Gespräche mit Tobias. War es Zufall, dass er ihn immer wieder nach dem Ermittlungsstand gefragt hatte? Sicher war das normal. Der Junge war ja daran interessiert, dass die Polizei den Mörder seiner Mutter findet. Dann hatte er sich sogar übergeben und war umgekippt, als sie ihm die Todesnachricht überbracht hatten. Auch bei der Übergabe des Tagebuches war er total fertig gewesen. Und Martin hatte ihn mehrfach weinen sehen. Gute Schauspieler konnten das zwar, aber Martin hatte nie den Eindruck gehabt, dass Tobias ihm was vorspielte.
»Nein«, sagte er energisch. »Er kann es nicht gewesen sein. Das ist völlig unmöglich. Ich glaube, ich bin langsam am Durchdrehen. Ich will so dringend den Mörder finden, dass ich jetzt schon Tobias verdächtige.«
»Vielleicht sind wir mit allem total auf dem Holzweg. Es könnte doch auch jemand sein, den wir bis jetzt noch gar nicht in Betracht gezogen haben, weil wir ihn noch gar nicht kennen.«
»Es muss auf jeden Fall jemand sein, der diese Organisation zerstören oder bestrafen will. Komplett.«
»Du meinst also, Wellner und Wolff sind in Gefahr?«
»Ich denke schon. Es sei denn, Katrin Buhr steckt dahinter. Die kann ihnen zurzeit ja nichts anhaben.«
»Wäre es nicht auch möglich, dass Katrin und Tobias gemeinsame Sache gemacht haben? Die beiden kennen sich und sind, wenn man Tobias glauben kann, verliebt.«
»Alles ist möglich.«
Schweigend fuhren sie zum Präsidium zurück. Als Martin die Treppe hochstieg, musste er daran denken, wie Tobias auf den Inhalt des ersten
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