Innerste Sphaere
stießen zusammen. Ich liebte es, ihren vibrierenden Puls im Bauch zu spüren. In der schwarzen Stadt waren die Geräusche flach. Nichts ließ einen aufschrecken, nichts sang. Keine Autos oder Busse. Auch keine Fahrräder. Keine Reifen, keine Motoren. Alle gingen zu Fuß, zockelten die Straßen entlang. Die Stille traf mich hart. Keine Unterhaltungen. Viele Leute, die an meinem Versteck vorbeischlurften, murmelten in allen möglichen Sprachen vor sich hin. Aber sie sprachen mit sich selbst. Ich fragte mich, ob ich auch so ausgesehen hatte, herumirrend in meinen Träumen, nur mit mir selbst beschäftigt. Das einzige Geräusch, das mit Kraft widerhallte, war das Kreischen und Scheppern des Tors, wenn es weit aufschwang und die Selbstmörder willkommen hieß.
Die Menschen schleppten sich vorbei, den Blick auf die Straße vor ihnen gerichtet. Manche trugen Taschen mit Lebensmitteln.Auch wenn jeder hier tot war, lebten sie immer noch in Wohnungen und brauchten etwas zu essen … Anscheinend gab es ein Geschäft in der Nähe, und das war gut so. Zwar hatte ich keinen Hunger, aber Nadia würde etwas brauchen, sobald ich sie gefunden hatte, denn sie war nicht in der Verfassung, sich selbst etwas zu besorgen. Sobald ich sie gefunden hatte … Das gewaltige Ausmaß dieser Aufgabe überwältigte mich, ich presste meinen Rücken gegen die Wand und legte meinen Kopf auf die Knie. »Atme.«
Kann sein, dass die Stadt so groß ist wie Rhode Island, aber du schaffst das. Nadia ist in der Wohnung, du musst sie nur noch finden. Steh auf und komm endlich in die Gänge, Lela Santos. Jetzt.
Ich sprang auf und begutachtete das gestohlene Messer. Ein fieses Ding. Die Klinge war fünfzehn Zentimeter lang, die Spitze gebogen, die untere Hälfte der Schneide gezahnt. Der geschwungene Griff war für eine viel größere Hand als meine gemacht. Meine Finger schlossen sich darum und ich wog es in der Hand – für mich gemacht oder nicht, ich konnte damit einigen Schaden anrichten, wenn es sein musste. Trotzdem schien es keine gute Idee, mit dem Messer lässig in der Hand die Straße hinunterzuschlendern.
Tiefer in der Gasse zog ich mein T-Shirt aus und schnitt mit dem Messer am Saum entlang zehn Zentimeter ab. Ich zog das entstandene Band auseinander, nahm die Schlinge doppelt, zog sie mir über den Kopf und bis zur Hüfte hinunter. Dann steckte ich das Messer zwischen die Stoffstreifen. Die provisorische Messerscheide würde nicht lange halten – wahrscheinlich würde die Schneide das Tuch durchwetzen –, aber ich war mir ziemlich sicher, dass sie den Ausflug zum Supermarkt überstehen würde. Das T-Shirt zog ich wieder an und meine Jacke war glücklicherweise lang genug, um den Griff des Messers an meiner Hüfte zu bedecken.
Ich verließ die Gasse und lief in die Richtung, aus der die Taschen schleppenden Gestalten gekommen waren. Und tatsächlich, einen Block weiter prangte auf einem schäbigen Ziegelgebäude ein Schild: ESSEN.
Die Werbung in der Stadt ließ zu wünschen übrig.
Ich spähte durch ein Fenster. Geld hatte ich keines und fragte mich, ob bald auch Mundraub zu meinen Sünden zählen würde. Aber es saß keine Kassiererin vorne im Geschäft, das nur wenige Gangreihen mit Obst, Gemüse und abgepackten Lebensmitteln bereithielt. Die Leute sammelten einige Waren ein, packten sie in Tüten und gingen, ohne zu zahlen. Vielleicht gab es ja eine Art Kreditsystem?
Schlurfende Schritte und gedämpftes Rascheln von Papiertüten waren die einzigen Geräusche, die ich hörte, als ich den Laden betrat. Der unentgeltliche Einkauf gab mir Rätsel auf, also beschloss ich lieber jemanden zu fragen, statt in meinem Nachleben gleich auf die schiefe Bahn zu kommen. Eine fahlgesichtige Frau stand in der Gemüseabteilung, sie trug einen Kittel über ihrem runden Körper. Die Haut an ihren Armen schwabbelte, als sie eine schlaffe Selleriestange nach der anderen in ihre Tüte steckte.
»Entschuldigen Sie«, sagte ich. »Ich bin … neu in der Stadt. Wie zahlt man hier für Lebensmittel?«
Die Frau hielt inne. »Ich habe genug gezahlt«, murmelte sie tonlos, ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Danke, verzeihen Sie die Störung«, lächelte ich und trat den Rückzug an. Ich fühlte mich wie in einem Horrorfilm, den ich mal gesehen hatte, und hatte keine Lust zu warten, bis der sadistische Typ mit der Clownsmaske kam.
Noch einmal schaute ich mich im Laden um, versuchte, einen Verantwortlichen zu entdecken, sah aber nur trübsinnige
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