Innerste Sphaere
suchen. Und ich konnte nur hoffen, dass ich nicht zu spät kam.
Mein Plan: Rein in die Stadt. Nadia finden. Uns in Sicherheit bringen. Einen Weg raus finden. Ganz einfach.
Ich stand auf, atmete ein und schritt durch den Schleier der Dunkelheit, bevor ich es mir anders überlegen konnte. Die Dunkelheit lastete schwer auf meiner Haut, feucht und kühl drückte sie mich nieder. Unter dem Sperrfeuer der Verzweiflung fiel ich nach vorne. Ich lag mit der Stirn auf dem Boden, die Handflächen auf den Steinen, der letzte Rest Hoffnung und Freude sickerte aus mir heraus.
Ich war zurückgekehrt.
Auf dem Kopfsteinpflaster der Straße, die in die Stadt führte, drängten sich gebückte, jammernde Menschen. Ein nass knirschender Laut ließ mich erschrocken aufspringen. Direkt zu meiner Linken erschien ein in sich zusammengesunkener junger Mann mit dunkler Haut und dunklen Haaren. Mit offenem Mund und blinzelnd hob er den Kopf, sah das Tor und schrie verzweifelt in einer fremden Sprache, kam schwankend auf die Beine und wurde Teil der Menge.
Hinter mir, rechts und links von mir materialisierten sich verstörte, willenlose Seelen. Sie waren in einem erbärmlichen Zustand. Die Szene wirkte wie eine grausige Parodie dessen, was auf der anderen Seite des Schleiers geschah. Diese armen Gestalten standen wie fremdgesteuert auf und stolperten in das Maul der Stadt. Das Tor sog sie alle in sich ein. Keiner versuchte zu fliehen oder sich zu wehren. Sie sahen weder nach links noch nach rechts. Wie die meisten Leute aus meinen Albträumen, und wie Nadia, waren sie nur mit sich selbst und mit dem, was sie durchgemacht hatten, beschäftigt. Ich wartete auf dieses Gefühl, dieses Verlangen durch das Tor zu laufen. Aber es blieb aus. Ich konnte hineingehen, musste aber nicht. Anscheinend hatte ich immer noch die Wahl.
Hinter dem Tor klammerte sich die Stadt, ein wuchernder Pilz aus Beton, an die Hänge des Hügels. Die größten Gebäude drängten sich im wuchtigen Zentrum zusammen, sie waren so hoch, dass ich nicht sagen konnte, wo sie aufhörten und der Himmel anfing. Der einzige Bruch im Muster der Stadt, deren niedrigste Häuser am Rand lagen und deren Gebäude spiralförmig angeordnet zur Mitte hin immer höher wurden, war an der Mauer am anderen Ende, wo ein gewaltiges, leuchtend weißes Gebäude in die Höhe ragte. An einem Ort, der Licht fraß, es aufsog wie ein Schwamm, strahlte dieses Gebäude. Plötzlich hatte ich Mitleid mit den Insekten, die von elektrischen Moskitofallen angezogen wurden. Was für ein Haus das war, wusste ich nicht, aber es rief nach mir.
Ich riss meinen Blick von dem Gebäude los. Mir blieben nur noch ein paar Minuten, bevor ich zum Tor gelangen und von der Stadt verschluckt werden würde, also erlaubte ich mir noch einen letzten Blick auf all das, was ich zurücklassen musste. Die üppige, hügelige Landschaft war durch den rußigen Schleier der Nacht immer noch zu erkennen. Jenseits der Stadt erstreckte sich kilometerweit ein wilder Wald. Hinter mir schlängelten sich schimmernde Flüsse durch goldene Weizenfelder. Und die Sonne schien.
Nadia brauchte das. Sie sollte dort draußen sein.
Ich schaute wieder zum Tor, biss die Zähne zusammen und schritt darauf zu. Andere drängelten von hinten, drückten mich gegen die Leute vor mir, Übelkeit überkam mich, als sie sich gegen mich pressten und mich an Dinge erinnerten, die ich seit Jahren angestrengt zu vergessen suchte. Ich schlängelte mich zum äußeren Rand der Menschenmenge, schob mich vorsichtig an Armen und Schultern, Brustkörben und Köpfen vorbei. Zeit für eine nähere Bekanntschaft mit den Wächtern. Also fing ich an zu jammern und zu weinen, und vereinte meine Stimme mit dem verzweifelten Schluchzen der anderen.
»Bitte,« klagte ich, streckte die Hände dem Wächter entgegen und erregte mit fuchtelnden Armen seine Aufmerksamkeit.
Als seine behandschuhte Hand nach meinen Haaren griff, duckte ich mich schnell darunter hinweg. Da schlossen sich Finger um meinenUnterarm. Der Wächter zerrte mich hoch und schubste mich auf den Rücken des Mannes vor mir. Der arme Kerl stürzte zu Boden und riss andere mit sich. Da mich der Wächter immer noch festhielt, konnte ich die Hebelwirkung nutzen, um an seine gepanzerte Brust heranzukommen. Sobald ich nah genug war, drehte ich meinen Arm aus seinem Griff und stieß mich mit beiden Beinen an seinem Brustpanzer ab, sodass ich auf dem Boden landete. Mit einer Hand packte ich eine ältere Asiatin, die auf
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