Innerste Sphaere
Menschen, die unappetitliches Essen in Papiertüten packten.
Wenn sie das hier so machen
… Ich nahm eine Tüte, die an einer Seite zerrissen und mit Fettflecken übersät war, von einem Stapel und lief die Gänge auf der Suche nach Verpflegung ab.
Nichts sah genießbar aus.
Die Äpfel waren fleckig und weich. Die Kartoffeln keimten schon. Die Brötchen waren steinhart. Cracker- und Chipstüten waren auf einem Wagen aufgehäuft, aber als ich eine nehmen wollte, stellte sich heraus, dass der ganze Stapel mit braunen Glibberfäden bedeckt war. Ich zog die Hand zurück und wischte sie an derHose ab. Ganz offensichtlich war das Essen hier umsonst und man konnte nehmen, soviel man wollte. Das Problem? Ich wollte nichts davon. Den Papierbeutel warf ich fort, schnappte mir ein paar Brötchen und den am wenigsten fleckigen Apfel und ging, so schnell mich meine aufgeschürften Beine trugen, hinaus.
Die Brötchen verstaute ich in meiner Jackentasche, den Apfel schmiss ich in einer Gasse weg, nachdem mein Daumen in einer matschigen Stelle eingesunken war. Blocks zählend und Orientierungspunkte suchend, versuchte ich mich nicht vollständig zu verirren, während ich die Stadt erkundete.
Auf den Straßen drängten sich die Menschen, aber jeder schien allein zu sein, eingesperrt in seiner persönlichen Welt, unsichtbar für alle anderen. Nun gut, die Frau im Laden hatte mit mir gesprochen – sozusagen –, also würden vielleicht ein paar der Leute hier auch mit mir reden. Es war an der Zeit, meine Geheimwaffe auszupacken. Ich schob den rechten Ärmel meiner Jacke hoch und näherte mich einer Frau in einem Sari.
»Hi«, sagte ich fröhlich. »Haben Sie dieses Mädchen hier irgendwo gesehen?«
Die Frau blinzelte zu mir hoch, blickte dann auf meinen ausgestreckten Arm. Sie murmelte etwas Unverständliches. Klar. Sie sprach wahrscheinlich Hindi. Oder Farsi. Oder Chinesisch. Es spielte keine Rolle, denn was auch immer sie da sprach, es war kein Englisch und ich konnte keine Fremdsprachen. Ohne mich noch einmal anzusehen, trottete sie davon. Ich atmete tief ein und schaffte es, nicht laut zu schreien.
Die nächsten Stunden zeigte ich Hunderten Menschen Nadias Gesicht und suchte nach irgendeinem Hinweis oder einem Wiedererkennen in ihren Augen. Weniger als zwanzig von ihnen sprachen Englisch. Nicht, dass es etwas gebracht hätte. Ich konnte niemanden bewegen, das Tattoo länger als eine Sekunde anzusehen. Alle warfen nur einen Blick darauf und gingen dann einfach weiter. Manche waren so geistesabwesend, dass sie gar nicht erst auf meine Fragen antworteten. Ein Typ saß auf einer Bank und starrte auf seine ausgestreckte Hand. Als ich versuchte, seine Aufmerksamkeit auf michzu lenken, wuchs eine kleine braune Masse auf seiner nach oben gerichteten Handfläche, fast als wäre sie aus seiner Haut entstanden. Sie drehte und dehnte sich, ganz von allein, wie etwas Lebendiges, bis sie Form annahm. Eine Zigarre. Der Mann wischte ein paar Schleimfäden von der Spitze, steckte sie in den Mund und starrte, darauf herumkauend, stur geradeaus.
Langsam zog ich mich zurück, sank auf eine Treppenstufe und begutachtete eines der altbackenen Brötchen, während ich darüber nachdachte, wie dumm und naiv ich gewesen war. Nadia konnte überall in diesem Irrgarten aus Trübsal sein und mein einziger Anhaltspunkt war der letzte Ort, an dem ich sie gesehen hatte: ein Korridor mit orangefarbenen Wänden und altrosa Türen. Ich spähte in die nächsten zwölf Apartmenthäuser, an denen ich vorbei kam, aber alle hatten grau-violette Türen und kastanienbraune Wände.
Ich trat aus einem der Wohnhäuser und zwang mich zu lächeln, um die hilflosen Tränen, die mir in den Augen standen, aufzuhalten.
Bleib ruhig. Du hast den Rest deines Lebens nach dem Tod, um sie zu finden.
Ich war 156 Blocks gelaufen. Vor mir erstreckte sich das Kopfsteinpflaster der Straße in die Dunkelheit.
Humpelnde Schritte rissen mich aus meinen Gedanken, ich schaute auf und sah einen älteren Mann vor mir. Anders als alle anderen, die ich getroffen hatte, schien er mich anzublicken, mich zu sehen. Er strahlte mich mit einem zahnlosen Lächeln an.
»Hablas español?«, fragte er.
»Nö. Englisch«, antwortete ich, überzeugt davon, dass diese Unterhaltung nicht lange dauern würde.
»Oh, sehr gut. Ich dachte, du wärst eine von diesen Hispanics«, lispelte er. Es klang aber wie »Spics«.
Klar, ich hätte wirklich beleidigt sein müssen, aber es ist unglaublich
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