Innerste Sphaere
der Rest der Stadt. In dem grauen, modrigen Bad befanden sich ein undichtes Waschbecken und eine überdimensional große Toilette. Man musste an einer Kette ziehen, um zu spülen.
Aber ich musste gar nicht. Nicht hungrig, nicht durstig, also … saß ich in dem schmuddeligen Raum und betrachtete die seltsameAnsammlung von Porzellanfigürchen, die an der Wand aufgestellt waren. Die meisten waren Tierbabys.
Lutfi gewährte mir höflich Privatsphäre. Ich nahm mir Zeit, damit Sil Gelegenheit hatte, sein Vorhaben halbwegs in Ruhe durchzuführen. Um mich zu beschäftigen, zerriss ich meine Hose an der Taille und band die Enden fest zusammen, damit sie mir beim Fluchtversuch nicht bis zu den Knöcheln runterrutschen würde. Mein Herz klopfte so wild, dass ich um meine frisch verheilten Rippen fürchtete.
Schließlich klopfte Lutfi an die Tür. »Ähm, alles klar da drin?«
»Ich bin gleich fertig, danke!« Ich wagte es, noch eine Minute zu warten, dann kam ich raus. Sein Gesicht leuchtete rosa, während er mich zurück in den Aufenthaltsraum der Wächter führte. Ich ging so langsam wie möglich und hoffte, er würde meinen keuchenden Atem und mein hämmerndes Herz überhören.
»Ich habe gehört, du gehst ins Allerheiligste und kommst vors Gericht«, sagte er. »Der Captain sagt, du schaffst es. Ich freue mich für dich, Kleine. Es ist schön auf dem Land.«
»Warst du schon mal da?« Ich hoffte, es klang freundlich und nicht ängstlich.
»Oh, nein.« Seine kehlige Stimme war wehmütig. »Es ist uns nicht erlaubt, rauszugehen. Wir wurden geschaffen, um das Schattenland zu bewachen, und das tun wir, bis wir sterben. Aber ich sehe es hinter den Mauern. Eines Tages werde ich gehen. Aber jetzt noch nicht.«
Er zwinkerte mir zu, zog die Tür zur Zelle auf und schob mich hinein. Aus dem Augenwinkel sah ich eine verschwommene Bewegung. Lutfi keuchte und schubste mich von sich weg.
»Lauf«, grunzte er, als ich auf dem Boden aufkam.
Ich drehte mich gerade rechtzeitig, um Sil zu sehen, der Lutfis Krummsäbel geschnappt hatte, als die Hände des Wächters mit mir beschäftigt waren, und die Waffe mit gnadenloser Effizienz einsetzte. Lutfi fiel ohne ein Geräusch zu Boden. Sein Kopf landete wenige Meter entfernt, seine Amethystaugen starrten mich vorwurfsvoll an.
Sil wandte sich mir zu und lächelte. »Hab das Schloss geknackt«, sagte er stolz, das blutige Schwert immer noch in der Hand. Ich versuchte die Gewissheit, einen schrecklichen Fehler gemacht zu haben, niederzukämpfen, während Sil Lutfis Waffengürtel löste, ihn selbst anlegte und festzurrte. Er steckte den Krummsäbel hinein und ging mit ausgestreckter Hand auf mich zu. Seine Fingernägel waren abstoßend lang und zugespitzt. Ich fragte mich, weshalb mir das nicht schon vorher aufgefallen war. »Gehen wir.«
»Ähm … Ich glaube, ich gehe lieber allein –«
»Nein, wir können dich gebrauchen. Du bist perfekt.« Seine Finger schlossen sich um meinen Oberarm und er zog mich hoch. Um mich zu wehren, war ich zu geschockt. Ich konnte nicht aufhören auf Lutfis lebloses Gesicht zu starren. Ich konnte den rostigen Hauch seines Bluts riechen.
Sil zerrte mich grob durch die Tür. Und erstarrte, als ein Wächter aus einem Zimmer ein paar Türen weiter auf den Korridor trat.
Es war Malachi.
Er trug seine Lederrüstung und sah genauso aus wie das erste Mal, als ich ihn durch die Augen meiner verängstigten Freundin beobachtet hatte. Nur größer. Angsteinflössender. Schöner. Sein Blick war auf seine Schulter gerichtet, er fummelte an einer Schnalle seiner Brustplatte. Sein Mundwinkel hob sich zu einem heimlichen Lächeln. In dem Bruchteil der Sekunde, bevor er uns sah, hatte ich Zeit darüber nachzudenken, welcher Gedanke einen so wunderlichen Ausdruck auf sein ernstes Gesicht zaubern könnte.
Das Lächeln verschwand, er presste die Lippen zu einer grimmigen Linie zusammen.
Sil und Malachi starrten einander an und bewegten sich dann gleichzeitig. Malachi griff nach seinen Messern und Sil schob mich vor sich, um sich abzuschirmen. Seine Hand schloss sich um meinen Hals. Seine Fingernägel kratzten über meine Haut. Ich roch Räucherwerk und etwas anderes, etwas Ranziges. Seinen Atem auf meinem Hals. Sein Mund war wenige Zentimeter von meiner Kehle entfernt. Die vertraute Panik ergriff mich. Nichts wie weg hier.
Bleib stehen, bleib jetzt
, betete ich mir vor, die Erinnerungen verdrängend.
Bleib fokussiert. Hau ab.
Gerade als mein Ellbogen vorschoss,
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