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Innerste Sphaere

Innerste Sphaere

Titel: Innerste Sphaere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Fine
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»Das hast du immer zu mir gesagt, bevor du verschwunden bist. Aber jetzt bist du hier. In Fleisch und Blut.« Blitzschnell streckte er die Hand aus und strich mir über die Wange.
    Ich drehte mein Gesicht weg. Ganz klar, das war er. Das Monster, das mich in meinen Träumen verfolgt hatte, das versucht hatte, mich für immer in der dunklen Stadt zu halten.
    »Kein Geist mehr«, wisperte er. Dann erhob er die Stimme, sodass sie von den Gebäuden ringsum widerhallte. »Die da gehört mir.«
    »Das kannst du vergessen«, brüllte ich panisch.
    Sämtliche Mazikin lachten, aber Juri schien es besonders komisch zu finden. Er feixte mich an und dann leckte er sich echt obszön die Lippen. »Mir«, wiederholte er, öffnete und schloss seine ausgestreckten Hände. Wenn mich mein Selbsterhaltungstrieb nicht gebremst hätte, Sil hätte es getan. Er umklammerte meine Hand so fest, dass ich nicht von ihm losgekommen wäre, ohne meinen Arm zu opfern.
    »Hast du Essen?«, fragte Sil ihn.
    »Ja.« Juri hatte eine Papiertüte mitgebracht, aus der er verschiedene unappetitliche Lebensmittel holte. Die anderen Mazikin scharten sich um die Tüte und befingerten ihren Inhalt.
    Sil ließ meine Hand los, um sich seinen Anteil zu sichern. »Kleine, setz dich da hin. Wenn du Dummheiten machst, hetze ich dir Doris auf den Hals.«
    Doris, die sich etwas Beiges, Saftiges in den Mund steckte, zwinkerte mir zu und entblößte ihre Zähne. Es kostete mich die größte Selbstbeherrschung, nicht loszurennen, und ich schaffte es irgendwie, langsam die Straße zu überqueren und mich auf den Randstein zu hocken.
    Nach einer Weile kam Doris zu mir und reichte mir eine Bierflasche ohne Etikett. »Wasser«, sagte sie. »Das ist gesund für dich.«
    Ich nahm die Flasche und schnupperte daran. Es roch irgendwie komisch und auf keinen Fall würde ich etwas trinken, was mir diese Tiermenschen gaben. Aber die Flasche – die kam mir gerade recht. »Danke, Doris«, sagte ich mit freundlichem Lächeln und prostete ihr zu. »Kann nicht schaden.«
    Grinsend zeigte Doris die Zähne. Ich schauderte.
    An den Laternenpfahl gelehnt schaute ich die Straße hinauf und hinunter. Womöglich hatte ich ja meine Chance verpasst, als ich noch mit Sil allein gewesen war. Ich fragte mich, wie viele von diesen Irren er zu seiner Familie zählte. Und warum er immerzu sagte, ich würde mich der Familie
anschließen
. Jedenfalls würde ich mich bald aus dem Staub machen müssen. Ich wollte nicht rausfinden, warum sie sich auf ihre groteske Art so gut um mich kümmerten.
    Ich zog an meinem Hosenbund und vergewisserte mich, dass meine Hose nicht rutschen würde, sobald ich losspurtete. Doris trabte wieder zu Sil, der sich leise mit den anderen unterhielt. Sie waren ungefähr zehn Meter von mir entfernt. Alle waren, neben Zähnen und Klauen, mit Krummsäbeln bewaffnet. Aus Erfahrung wusste ich, dass Sil rennen konnte. Juri war muskelbepackt wie ein guter Hundertmeterläufer. Vielleicht würde er über längere Strecken nachlassen. Chimola, mit seinem erstaunlichen Leibesumfang, konnte bestimmt nicht mithalten. Lacey sah flink aus, war aber wohl nicht so stark. Und Doris – mit ihrem gruseligen Vierbeinergang würde Doris mich vermutlich als Erste erwischen. Vor meinem geistigen Auge sah ich in Zeitlupe, wie ein Löwe eine flüchtende Gazelle packt.
    Ich sah mich um. Hinter mir standen Stadthäuser in Reih und Glied, keine Gasse in Sicht, nur ein Haus neben dem anderen. Vorteil Mazikin. Vor uns ragte ein Wohnblock in die Höhe, mit glatter moderner Fassade, rechts und links gingen Gassen ab. Eine war komplett durch überfüllte Mülltonnen blockiert. Die andere schien frei zu sein. Wenn ich es bis dahin schaffte, konnte ich sie in den Gassen vielleicht abhängen.
    Oder in eine Falle hineinrennen.
    Frustriert pochte ich mit dem Hinterkopf gegen den Laternenpfahl.
    Ich hörte sie, ehe ich sie sah. Sie sprach spanisch. Ich nicht. Und ich verstand es auch nicht. Man hatte mir gesagt, ich hätte nur spanisch gekonnt, als ich mit vier Jahren in die Fänge des Jugendamts geriet, aber alle meine Pflegeeltern sprachen englisch, und dieser Teil von mir ging verloren.
    Ich schaute in die Richtung, aus der die Stimme kam. Ein dunkelhäutiger Teenager trottete die Straße entlang. Sie war in einen schweren, dicken Mantel gehüllt. Als sie in den grünen Lichtkegel unter einer Laterne trat, sah ich, dass ihr schönes Gesicht dieselbe innere Qual spiegelte, wie ich sie seit meiner Ankunft bei so

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