Innswich Horror (German Edition)
musste Marys Haus sein.
Nur ganz schwach drang das Sonnenlicht durch den dichten Schirm aus Blättern und Ästen. Der in dieser Region nur spärlich fallende Regen hatte bewirkt, dass der Waldboden trocken wie Zunder war. Das, was ich da sah, tat ich anfänglich als Hügel ab, doch bei konzentrierterem Hinschauen erkannte ich kleine, einfach verglaste Fenster inmitten eines riesigen Efeuteppichs. Schließlich entdeckte ich Ecken, die weniger überwuchert waren, sowie ein Schieferdach und einen Kamin aus alten fleckigen Ziegelsteinen, die noch aus der Zeit vor der Revolution stammten. Hinter dem eckigen und mit Efeu überwucherten Haus befand sich jedoch eine sonnenüberflutete Lichtung, auf der eine einsame, winzige Gestalt umherzutollen schien. Als ich genauer hinblickte, sah ich, dass es sich um einen Jungen handelte, der Pfeile mit einem einfachen, mehr als wahrscheinlich selbst angefertigten Bogen abschoss. Die Pfeile waren jene für Kinder hergestellten mit Gummisaugnapf an der Spitze, und der Junge schoss damit auf einen alten, aufgestellten Fensterrahmen, in dem sich noch das Glas befand.
Das war also eines von Marys älteren Kindern. Seltsam bloß, dass nur eines im Freien zu sehen war. So nah beim Haus hätte ich erwartet, all ihre acht Kinder sehen oder zumindest hören zu können. Sie hat angedeutet, dass ihr Stiefvater auf die jüngeren aufpasst, fiel mir wieder ein. Dennoch wirkte das Haus merkwürdig leise.
Augenblicklich kam ich mir wie ein Eindringling vor. Nur weil ich Zalen verfolgt hatte, war ich überhaupt so weit in den Wald hineingelaufen. Dennoch, trotz des Drangs zu gehen, blieb ich stehen und starrte das überwucherte Haus an. Der Impuls, in ein Fenster zu sehen, war sehr stark, aber ich riss mich zusammen. Nicht nur wäre dies die Tat eines Flegels – der ich nicht war –, sondern es wäre sogar illegal. Ich habe nicht das Recht, mich hier aufzuhalten, und sollte gehen. Aber ich wunderte mich doch über die Motive meines Unterbewusstseins – oder meines Ichs, wie Freud es nannte.
War es Mary, die mein Ich zu erspähen hoffte?
Als ich mich umdrehte, um zu gehen, hätte ich beinahe laut aufgeschrien.
Da, unmittelbar vor mir stand der Junge.
Ich erholte mich rasch von dem Schreck. »Hallo, junger Mann. Mein Name ist Foster Morley.«
»Hallo«, erwiderte er errötend. Er war dünn, hatte strahlende Augen und sah aus wie so viele Kinder: neugierig und unschuldig. Ich schätzte ihn auf etwa zehn – das war bei Heranwachsenden immer schwer zu sagen –, und er trug saubere, wenngleich abgenutzte Kleidung. In einer Hand hielt er seinen einfachen Bogen und in der anderen einen Köcher mit den Saugnapfpfeilen. Nach einem Moment fügte er hinzu: »Mein Name ist Walter, Sir.«
»Freut mich, dich kennenzulernen, Walter.« Schüchtern schüttelte er mir die Hand. »Lautet dein Nachname zufälligerweise Simpson?«
Er wirkte freudig überrascht. »Ja, Sir.«
»Das ist aber ein Zufall! Ich bin ein Freund deiner Mutter. Heute Morgen haben wir uns erst bei Mr. Baxter unterhalten. Du kannst stolz darauf sein, eine so hart arbeitende Mutter zu haben.«
Er schien sich über diese Information zu wundern. »Ja, Sir, ich bin sehr stolz auf sie, ebenso wie Opa.«
Sein »Opa« konnte nur Marys Stiefvater sein.
»Er schläft jetzt«, fügte er hinzu. »Er ist … alt.«
»Ja, und den Älteren muss man immer Respekt erweisen.« Ich sah mir seinen einfachen, aus Zweigen zusammengebauten Bogen an. »Du bist ja ein richtiger Bogenschütze, Walter. Übung macht den Meister.« Dann zeigte ich auf das Fenster, das er als Ziel benutzte und an dem schon mehrere Pfeile hingen. »Und bei deinen beeindruckenden Fähigkeiten könntest du einmal im Olympia-Team der Bogenschützen stehen.«
»Glauben Sie wirklich?«, fragte er aufgeregt.
»Natürlich, wenn du dabeibleibst und immer fleißig übst. Wenn du älter bist, musst du mit einem richtigen Bogen trainieren, aber ein so vorsichtiger Junge wie du braucht gewiss nicht mehr lange darauf warten.«
»Meine Mom sagt, ich bekomme einen richtigen Bogen, wenn sie genug Geld verdient, um einen zu kaufen. Aber ich darf ihn nur benutzen, wenn sie zusieht.«
»Das ist ein guter Ratschlag, mein Sohn. ›Ehre deine Mutter‹, wie es in der Bibel steht.«
»Sind Sie hier, um … sie zu sehen?«, erkundige er sich. »Sie ist noch bei der Arbeit.«
Ich wollte den Jungen nicht anlügen, konnte ihm aber auch nicht verraten, dass ich hier in der Nähe einen Verfolger gejagt
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