Innswich Horror (German Edition)
aktuellen Lebensumstände kamen mir wieder in den Sinn. Ein reicher Waschlappen. Mein unverdienter privilegierter Status hatte mich von derartigen tragischen Realitäten abgeschirmt, mit denen sich jene, die weniger Glück gehabt hatten, herumschlagen mussten, und das war einfach nicht richtig. Ich musste diese schrecklichen Realitäten kennenlernen – und ihre Konsequenzen –, um zu dem besseren Mann zu werden, wie Gott es mir gewiss vorherbestimmt hatte. Mein Mitgefühl durfte nicht gespielt sein, mein Mitleid nicht bewusst kreiert. Ich sah mich selbst als Philanthropen, der jenen, die weniger hatten, gerne etwas abgab.
Ich wusste, dass ich mehr geben musste, und dass es nicht einfach nur Geld sein durfte.
Sanfte Stimmen rissen mich aus meinen Gedanken. Als ich den Kopf drehte, blitzte großflächig ein Schimmer auf. Durch das hohe Gras erkannte ich einen bescheidenen See, auf dem sich das Sonnenlicht widerspiegelte. Aber die Stimmen …
Ich musste meine Augen abschirmen, um nicht geblendet zu werden. Dort, am Ende eines kurzen Piers, saßen zwei Frauen, eine honigblond, die andere mit obsidianfarbenem Haar. Beide waren nackt und unterhielten sich angeregt, während sie ihre Füße ins Wasser baumeln ließen. Etwas weiter im Wasser schwamm eine kleine Flasche, die als Boje diente.
Der nackte weiße Rücken der Mädchen glänzte in der Sonne, aber die ruhige Szenerie spiegelte nicht die Stimmung der Dunkelhaarigen wider, die fauchte: »Ich hasse es einfach, Cassandra! Es macht mich krank – ihr Zustand, meine ich. Und ich muss heute Abend schon wieder hin. Oh Gott, ich verabscheue es so sehr. «
»Dann bist du also noch nicht so weit?«, erkundigte sich die andere.
»Nein, ich glaube nicht. Sie zwingen mich hinzugehen – jeden Abend –, bis sie sich sicher sind!« Das Mädchen schien zu würgen. »Und ich muss gleich zu mehreren! Einer reicht nicht! Es müssen jeden Abend mindestens zwei sein, und ich habe gehört, sie haben zwei weitere bekommen. Wie viele sind das insgesamt, sieben?«
»Sechs, glaube ich. Vergiss nicht, dass einer gestorben ist, und der lockige Mann konnte nicht … du weißt schon. Man weiß nie, wann einer von ihnen auf einmal nicht mehr gut genug ist. Manchmal enden sie so wie Paul.«
Paul! Der Name bewirkte, dass ich die Ohren spitzte. Gut, es war ein recht häufiger Name, aber meinten sie damit vielleicht Marys invaliden Bruder?
»Ach, Scheiße!«, meinte die schwarzhaarige Frau überraschend profan. »Einer am Abend sollte genügen!«
»Es ist so, wie es der Doktor gesagt hat, Monica. Mit je mehr du es tust, desto größer ist die Aussicht auf Erfolg …«
Wovon in aller Welt sprechen sie da?, fragte ich mich verwirrt. Und … der Doktor ? Meinten sie Dr. Anstruther ?
»Darum testet er sie so oft«, fuhr die Honigblonde fort. »Um sicherzugehen, dass sie nicht ihre … Ich habe das Wort vergessen. Portens? Nein, Potenz verloren haben.«
Bei diesen seltsamen Worten wurde mein Gesicht immer länger.
»Aber sie sind so hässlich !«, kreischte die Dunkelhaarige, Monica, empört auf. »Davon bekomme ich Albträume.«
Die Honigblonde, Cassandra, nahm Monicas Hand, um sie zu trösten. »Es ist, wie sie sagen, du musst mit der richtigen Einstellung an die Sache herangehen. Es geht nicht ums Vergnügen, sondern um etwas sehr viel Wichtigeres. Es ist egoistisch, so zu denken, wie du es tust. Und sie müssen so sein, wie sie sind – sicherheitshalber …«
»Argh! Es ist so furchtbar …«
»Das musst du mir nicht sagen, Monica. Ich hatte schon sechs Babys. Aber so läuft es hier nun mal. Es ist besser für unsere Zukunft.«
»Ich weiß nicht, wie du das sechs Mal ertragen konntest!«
Cassandra antwortete verträumt: »Schließ einfach die Augen und denk an etwas Schönes, Monica. Stell dir vor, bei jemand anderem zu sein, bei jemandem, der gut aussieht, der stark und süß ist und …«
»Bei jemandem, der normal ist!« Monica war noch lange nicht besänftigt. »Nicht alle Mädchen machen, was die wollen.«
»Nein, aber so bleiben wir in deren Gunst, wie es der Doktor gesagt hat.«
Monica schien kurz davorzustehen, in Tränen auszubrechen. »Gott, warum kann ich nicht wenigstens ein Mal einen richtigen Mann haben? Manchmal würde ich am liebsten einfach abhauen.«
»Pst! Sag doch nicht so was«, schalt Cassandra sie. »Wir beide wissen, was mit Mädchen passiert, die probieren wegzugehen …«
Verwunderter hätte ich nicht sein können als jetzt, während ich der
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