Ins dunkle Herz Afrikas
Kindern ihrer weißen Arbeitgeber ihre eigenen versorgte, sie oft ohne Mann aufziehen musste, der entweder in den fernen Goldminen am Witwatersrand Tausende von Metern unter der Erde sein Geld verdiente, indem er für die Weißen das Gold aus dem Felsen kratzte, oder sich längst aus dem Staub gemacht hatte. Diese Frau, die meist nur geringe Schulbildung besaß, verließ morgens ihre Behausung in der Township, in der Regel ein schuhkar-tongroßes Häuschen mit einem einzigen Raum für sie und ihre Kinder, ohne fließend Wasser, ohne Elektrizität, mit einem stinkenden Plumpsklo in einem Verschlag vor dem Haus, betrat nach stundenlangem Weg eine Welt, in der es Fernsehen, Mikrowelle, Videorecorder und Tiefkühltruhe gab.
Wie schaffte ein Mensch diesen Spagat? Wie erklärte sich eine solche Frau, dass sich ein Topf mit Essen in einem Glasschränkchen drehte, das kalt blieb, nicht glühte und trotzdem das Essen heiß und gar ausspuckte?
Zauberei des weißen Mannes, drängte sich Sarah in ihre Gedanken. Sie hatte das geschrieben, als sie in den achtziger Jahren die erste Mikrowelle kennen lernte. Denn wer sonst könnte Essen gar kochen ohne Feuer oder heiße Herdplatte?
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Sarah, stellvertretend für alle schwarzen Frauen Afrikas. Stärke, Kraft, Wärme, das war das Erste, was ihr einfiel, unglaubliche Kraft. Mama Afrika.
Wie viele Klischees entsprach diese Vorstellung der Wahrheit.
»Vergiss nie, dass sie dich geliebt hat«, flüsterte sie Isabella zu, »bewahre dir diesen Schatz, du wirst ein Leben lang davon zehren können.« Mit dem Daumen glättete sie die tiefe Falte auf der Stirn ihrer Nichte.
Eine halbe Stunde später erschien Lukas im Eingang, stellte eine Schale mit Wasser vor Isabella auf den Boden. »Unsichtbar wie eine Schlange«, flüsterte er, ihr mit feinem Spott zulächelnd, bevor er in sich hineinlachend verschwand.
»Wenn ihr noch ein Wort darüber verliert, werde ich richtig fies«, drohte Isabella mit hochroten Wangen, bevor sie von dem Wasser trank. Doch sie ordnete ihre Haare, steckte ihr herunterhängendes Hemd in die Kakishorts und zog den Gürtel ein wenig enger. Lange Stunden später brachte Moses eine Blechschüssel, in der ein merkwürdiges Ding herumrollte. »Mittagessen«, verkündete er mit einem gehässigen Unterton. Er stand in knöcheltiefem Matsch, seine braunen Hosen bis zu den Knien mit Schlamm besudelt. Seine Maschinenpistole hatte er über die Schulter gehängt und sich zum Schutz gegen den Regen in eine gestreifte Decke gewickelt. Für einen Moment ruhten seine rauchgeröteten Augen nachdenklich auf Henrietta, dann drehte er sich um und ließ sie wieder allein. Durch den niedrigen Eingang beobachteten sie, wie er sich in ein paar Meter Entfernung unter das Dach der Vorratshütte kauerte, sich fester in die Decke einhüllte und erstarrte. Ron stand auf, ging zum Eingang und zog die Kuhhaut davor.
»Was um alles in der Welt ist das?«, kreischte Susi. »Igitt, ist das ein Tier?«
Mit einem Stock wendete Ron das fußballgroße Objekt. Es schepperte. Aus gekochten Augen starrte sie die Schildkröte an, mit sperrangelweit aufgerissenem Maul, im Todeskampf herausgereck-305
ten Beine. »Verflucht, die haben sie in der Schale gekocht. Lebendig.«
Susi schrie los, wie von Sinnen, schrie mit weit aufgerissenem Mund, schrie bei jedem Atemstoß, schlug um sich, bis Ron sie fest an sich zog und ihr Gesicht in seinen Armen barg. Allmählich verebbte ihr Schreien, wurde zu einem kläglichen Wimmern. »Ich muss kotzen«, keuchte Isabella und tat es. Sie wischte sich das Gesicht mit einem Zipfel ihres verschmutzten weißen T-Shirts ab. Henrietta presste die Hand vor den Mund, um sich nicht auch zu übergeben.
»Dieses Miststück, die ist ja krank«, japste sie und starrte auf das tote Reptil, stieß die Schüssel mit dem Fuß unter der Kuhhaut durch vor die Hütte.
Moses lachte, noch minutenlang hörten sie ihn vor sich hin lachen, dann schien er sich zu entfernen. Einige Zeit später erschien, laudos im Prasseln des Regens, Lukas mit einer weiteren Schüssel. »Maisbrei«, flüsterte er, »mehr konnte ich nicht für euch besorgen.« Er stellte die Schüssel vor ihnen ab, seine intelligenten dunklen Augen aber sahen nur Isabella an, die das sehr wohl zu merken schien, denn die Röte kroch ihr erneut in die Wangen. »Ich kämpfe für die Freiheit meines Landes, und wenn ich gezwungen bin, würde ich dafür töten, aber nicht für Geld, und ich vergreife mich nicht an
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