Ins dunkle Herz Afrikas
wildes Tier, die Polizei hat ihre Familie und Freunde gequält und ermordet, sie hat Jahre in der Verbannung verbracht. Wisst ihr, was das heißt? Jahrelang durfte sie nie mehr als eine Person zur selben Zeit sehen - auch nicht von der Familie. Sie durfte nie das entlegene, einsame Dorf verlassen, in das man sie verbannt hatte. In der Öffentlichkeit durfte nichts über sie erwähnt werden. Nichts, was sie gesagt hatte, durfte gedruckt oder berichtet werden. Sie war eine Unperson, ein lebende Tote. Jahrelang.
Vielleicht wird man so, wenn man so etwas durchmachen muss.« Sein Mund verzog sich zu einem freudlosen Lächeln. »Sie hatte ei-474
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nen unfehlbaren Instinkt entwickelt, Polizeiagenten zu riechen. Außer Jeremy hatte sie schon ein paar aufgespürt. Eines Tages«, seine Stimme wurde tonlos, so als fürchte er, durch mehr Betonung den Horror nicht ertragen zu können,
»eines Tages erwischte sie einen, der dafür bekannt war, dass er jede Nacht mindestens ein Mädchen aus einem der Dörfer im Bett hatte. Sie ließ ihn ein wenig bearbeiten. Er gestand ihr, dass ihn Polizeiagenten geschickt hätten. Er war mit AIDS infiziert, und sie haben ihn instruiert, die Krankheit unter den Schwarzen zu verbreiten. Mary ließ ein paar Autos mit Weißen überfallen und zwang diesen Kerl, sich an allen zu vergehen.« Schockiertes Schweigen folgte seinen Worten. lan war der Erste, der seine Stimme wieder fand. »Ich kann mir nicht einmal vorstellen, wie ein Leben verlaufen muss, um einen Menschen so zu verformen.« Henrietta hob abwehrend die Hände. »Ich kann darüber jetzt noch nicht nachdenken, es ist zu viel. - Lasst uns hineingehen und Willkommen feiern.«
Gemeinsam gingen sie zurück ins Haus. Isabella stand mit Themba im Wohnzimmer und musterte sie furchtsam. Henrietta umarmte sie. »Alles in Ordnung, Isabella, Lukas hat uns alles erklärt, und nun ist es gut. - So, nun werden wir einen gemütlichen, typisch deutschen Kaffeeklatsch machen«, verkündete sie, »bitte setzt euch.«
»Wir müssen nach Stockholm«, berichtete Isabella, als sie alle Platz genommen hatten, »Lukas ist für Geheimverhandlungen hier«, sie war sichtlich stolz,
»Inkatha und der ANC zerfleischen einander, sie bringen sich gegenseitig um, und um dem ein Ende zu machen, treffen sich Vertreter beider Seiten auf neutralem Boden, und Lukas wird zusammen mit einigen anderen als Vermittler dabei sein. Vorher wollen wir hier in Hamburg noch zwei Freunde besuchen.«
»Der ANC versucht, uns Zulus unter seine Knute zu bekommen, und das werden wir nicht zulassen.« Lukas ballte seine Faust, wie um seine Worte zu unterstreichen. Themba nahm den Daumen aus dem Mund und maunzte. Als nichts 476
passierte, fing er an zu brüllen, und aller Aufmerksamkeit wandte sich ihm zu.
Isabella knöpfte ihr Kleid auf und holte ihre Brust heraus, legte Themba an, und augenblicklich trat Ruhe ein. Seine Mutter lächelte versonnen, und Henrietta konnte sich kaum an die frühere Isabella erinnern, die ständig schlecht gelaunt war, die Missmut wie eine Wolke umgab, so sehr hatte sie sich verändert. Verschwunden war der bittere Zug um ihren Mund, die scharfe Falte zwischen den Brauen. Sie trägt keine Maske mehr, dachte Henrietta, sie lässt das Leben ganz nah an sich heran, und sie scheint sehr glücklich zu sein.
Rasch setzte sie Kaffee auf und stellte eine tiefgekühlte Torte in den Ofen.
»Nehmt ihr Sahne?«, rief sie zur Terrasse hinaus. »Oh, ja«, strahlte Isabella,
»viel.«
»Du hast es gut, ich kann mir das nicht leisten!«, bemerkte sie neidvoll, »ich brauche nur an Schlagsahne zu denken, und schon habe ich ein Kilo mehr auf den Hüften.«
»Um als Zulu als schön zu gelten, müsstest du dir mindestens noch zwanzig Kilo anessen«, kicherte ihre Nichte, »sieh mich an!« Sie erhob sich halb und wackelte fröhlich mit ihrem beachtlichen Hinterteil, und Henrietta wurde plötzlich an Sarah erinnert. »Meine Mutter nennt mich Ithekenya, den Tanzfloh«, hatte diese gerufen und stolz ihr ausladendes Gesäß geschwenkt. Das ist es, dachte sie erstaunt, sie ist wie Sarah! Sie hat sich gefunden, ist ein fertiger Mensch geworden. Sie weiß, wer sie ist und wo sie hingehört. Sie beobachtete ihre Nichte, die wie selbstverständlich ihr Baby nährte, dabei erzählte und gestikulierte, mit sprühenden Augen und lachendem Mund. Sie stellte sich die kleine Isabella vor, das kleine, einsame Mädchen, das von einer Zulu erzogen wurde, ihren Geschichten und Liedern
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