Ins Eis: Roman (German Edition)
Reibereien.« Sie war nicht gut im Lügen, nicht einmal sich selbst gegenüber. Deshalb schob sie etwas lahm nach: »Zumindest nicht außerhalb des Üblichen.«
Was außerhalb des Üblichen sei, wollte der Polizist wissen. Müde versuchte Kirsten zu lächeln. Das sollten sie wohl besser Oda und Tim fragen, sie selbst sei zu sehr in die Familie eingebunden, um noch objektiv beurteilen zu können, ob sie normal seien oder nicht.
Es klopfte zaghaft an der Tür. Es waren Jonas, seine neue Freundin und deren Mutter. Sie müssten jetzt gehen, sagte die Frau. Der Polizist stand auf. »In Ordnung. Ich denke, wir sind für heute fertig. Frau Stolt. Vielen Dank. Das war sehr hilfreich.« Während er ihr in die Jacke half, deutete er auf Jonas. »Glauben Sie, dass Ihr Sohn private Gespräche zwischen den Familienmitgliedern mitbekommen haben könnte? Streit, der Ihnen womöglich entgangen ist? Bei Kindern lassen viele Erwachsene ihre Hüllen fallen, sie vergessen einfach, dass sie da sind.«
Kirsten zog Jonas an sich. »Ganz sicher nicht«, sagte sie, »und Sie werden auch keinesfalls mein Einverständnis bekommen, mit ihm zu sprechen.«
»Natürlich nicht, das verstehe ich gut. Guten Abend, Frau Stolt.«
»Ihr hättet mit denen niemals ohne Anwalt reden sollen! Was habt ihr ihnen gesagt?«
Es war neun Uhr. Vor einer Stunde war Monika kurz im Restaurant erschienen und hatte Kirsten gefragt, ob Jonas heute Nacht bei ihr schlafen könne. Sie fühle sich so allein. Kirsten hätte am liebsten abgelehnt, aber sie ahnte, dass Jonas im Moment für Monika womöglich die beste Medizin war. Ablenkung, Wärme, Menschlichkeit, eine Welt ohne die Bitterkeit und Lügen der Erwachsenen. Monika kratzte mit den Fingernägeln über ihr von einer dicken Schicht Salbe bedecktes Gesicht, während sie auf Kirstens Entscheidung wartete.
»Jonas soll selbst bestimmen, wo er schlafen möchte«, sagte Kirsten schließlich. Monikas dankbarer Blick erinnerte sie an einen der Hunde. Kirsten berührte ihr Handgelenk. »Monika, er stellt Fragen nach Erland. Weshalb er nicht wiederkommen wird.«
Monikas Unterlippe zitterte, sie wandte sich zum Gehen. »Dann sollte ich sie wohl besser beantworten.«
Während sie jetzt Elisabeth bei ihrer Tirade zuhörte, bedauerte Kirsten, nach dem Abendessen überhaupt sitzen geblieben zu sein und sich einer weiteren Diskussion über Urteilsvermögen und familiäre Solidarität ausgesetzt zu sehen. Sie wollte ins Bett, das Notizbuch durchblättern, mit ihrem Norwegisch-Wörterbuch als Hilfe. Sie hatte Tim eine SMS geschrieben, doch keine Antwort erhalten.
»Sie haben uns nach der Tour gefragt, nach Erland, ob er sich irgendwie auffällig verhalten hat, und was genau in jener Nacht geschehen ist«, antwortete Tobias gereizt. »Das haben wir dir doch schon erzählt, Tante.«
»Wir sollten der Polizei gegenüber extrem vorsichtig sein. Wir dürfen nicht das Wort ›Mord‹ in den Mund nehmen, sonst fallen sie wie die Geier über uns her.«
»Wir gehen alle davon aus, dass Erlands Tod ein Unfall war, Elisabeth«, sagte Hartmut.
»Sieht das deine Frau genauso?«
»Seine Frau« – Tanja lehnte sich vor, die Serviette in den Händen zerknüllt – »wird der Polizei sagen, dass sie überhaupt nichts weiß, dass sie aber ganz bestimmt an einen dummen Unfall glaubt.«
»Das mit dem ›dumm‹ kannst du weglassen«, warnte Kirsten. »Ich werde jedenfalls morgen der Polizei von der Schmiererei an Fredriks Tür erzählen. Falls Fredrik das nicht selber tut.«
Elisabeth schoss von ihrem Stuhl hoch. »Fredrik wird bestimmt nichts tun, was ein schlechtes Licht auf diese Familie werfen würde oder auf irgendeinen von uns!«
»Wie kann denn von dieser Geschichte ein schlechtes Licht auf euch fallen? Ihr wart da ja noch nicht einmal aus Deutschland abgeflogen!«
»Es wird die Polizei erst recht darin bestärken, dass etwas faul ist. Sie werden versuchen, uns gegeneinander aufzubringen, damit sie unsere Antworten verdrehen können, wie es ihnen passt! Meine Güte, muss ich dich darauf hinweisen, wie wichtig im Bankgeschäft ein guter Ruf ist?« Elisabeth deutete mit dem Zeigefinger auf Kirsten. »Ich würde dir dringend raten, zuerst mit Fredrik zu sprechen, bevor du irgendetwas tust, was sein Lebenswerk bedroht. Das würdest du sehr bereuen, immerhin sitzt du im selben Boot.«
Kirsten war eher verblüfft als eingeschüchtert. »Wie soll ich das denn verstehen?«
»Wie?« Elisabeths Atem entwich in einer kleinen Explosion.
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