Ins Eis: Roman (German Edition)
einen Moment, bis Kirsten verstand, dass Monika von Erland sprach. Sie wusste nicht, was sie noch sagen sollte, deshalb murmelte sie: »Monika, um deiner selbst willen, gib Fredrik nicht die Schuld.«
Sie dachte, ihre Schwägerin hätte aufgelegt, so lange dauerte die Pause, bevor Monika antwortete: »Weißt du, was in dem Geschenk war, was sie uns gegeben haben? Am ersten Abend, das goldene Geschenkpapier? Ich habe es ausgepackt. Für Erland waren es Manschettenknöpfe mit seinen Initialen. Aber sie haben die Buchstaben so verschachtelt, dass das E auf den ersten Blick wie ein F ausschaut. Fredrik, er, er ist wie ein Krake. Alles bezieht sich immer nur auf ihn.« Kirsten hörte sie nach Luft schnappen. »Ich habe sie ins Klo geworfen. Soll ein Fisch daran ersticken!«
»Das war bestimmt nicht seine Absicht. Und außerdem hat sich Elisabeth um die Geschenke gekümmert, das mit den Initialen war mit Sicherheit nicht Fredrik.«
»Ach ja? Was ändert das? Nichts. Gott, Erland wäre für seinen Vater gestorben, und was hat Fredrik getan? Hat er ihm jemals für irgendetwas gedankt? Aber egal, das hilft jetzt auch nichts mehr. Ich hoffe, du kannst schlafen. Gute Nacht.«
»Gute Nacht.« Kirsten ließ sich auf das Bett fallen, vergrub die Finger in den Haaren und versuchte, das Bild von Manschettenknöpfen in der Toilette aus dem Kopf zu bekommen und sich stattdessen an das Geräusch zu erinnern, das sie aus dem Bett katapultiert hatte. Kurz darauf wusste sie es.
»Verdammt, du wirst langsam hysterisch«, zischte sie laut, wütend über die eigene Albernheit.
Ihr Handy war noch in der Handtasche. Sie fischte es heraus, es zeigte eine neue Nachricht an. Eingegangen vor drei Minuten. Von Tim. Kirsten hatte Jonas im Café mit ihrem Handy spielen lassen; er hatte wie so oft im Spiel die Klingeltöne durchgeklickt. Dabei musste er, egal ob versehentlich oder absichtlich, einen neuen Signalton eingestellt haben. Das Klopfen der eingehenden SMS hatte sie aus dem Schlaf gerissen.
Tim schrieb:
Hi Kirsten, sorry, aber wir sind erst vor 2 h zurückgekommen. Ich bin morgen um 9:00 beim Sysselmann, danach kann ich ins Hotel kommen. T
Kirsten ging wieder ins Bett.
»Also, du hast recht, das hier sind Gedichte. Keine selbst verfassten, sie sind abgeschrieben, denn ich kenne mehrere von ihnen. Sie handeln von Spitzbergen, der Arktis, alles Gedichte über Landschaft, Heimat und Sehnsucht. Das dritte hier zum Beispiel, da wird das Land zum Sinnbild von etwas Verlorenem und gleichzeitig Gefundenem, am Ende weiß der Leser nicht, ob es vom Leben erzählt oder vom Tod.« Sein Blick streifte ihren, er lächelte, die Zungenspitze im Mundwinkel. Er wusste, dass er sie überrascht hatte.
»Ist dir dieser Text hier aufgefallen?« Tim tippte auf die erste Zeile eines längeren Fließtexts in der Mitte des Büchleins. Kirsten beugte sich vor. Sie saßen dicht nebeneinander auf Kirstens Bett, ihre Schultern berührten sich. Tims Oberarm strahlte Wärme ab, trotz des dicken Pullovers. Kirsten war froh über seine Anwesenheit. Jonas hatte den Fernseher angemacht und zappte gelangweilt durch die Kanäle. Er wolle mit Tim einen Schneemann bauen, hatte er mehrmals verkündet, bis Kirsten die Geduld riss und sie ihm befahl, sich jetzt mal ein paar Minuten selbst zu beschäftigen.
»Das ist die Überschrift von dem Zeitungsartikel!« Mit einem Satz war Kirsten bei der Mappe mit den Unterlagen aus Kristoffers Zimmer. Sie hielt den Artikel über das Grubenunglück aus Svalbardposten neben den handschriftlichen Text im Notizbuch. Sie stimmten überein, Wort für Wort. »Das ist eine wortgenaue Abschrift.«
»Ja. Und der Text darunter, also ich bin sicher, das ist der Eintrag, den sie mir letzte Woche aus dem Archiv in Svalbardposten herausgesucht haben, erinnerst du dich? Der Folgeartikel.« Seine Fingerspitzen huschten über die eng beschriebenen Seiten. »Hier geht es um den Unfallhergang. Eine falsch gezündete Sprengung, haben sie bei der Untersuchung festgestellt.«
Kirsten wartete ungeduldig, während er die Zeilen überflog. »Steht da, wer für die Fehlsprengung verantwortlich war?«
»Einer der Getöteten offenbar. Er ist bei der Sprengung ums Leben gekommen. Die Grube ist an zwei Stellen eingestürzt. Durch den Einsturz waren vier Arbeiter in einem Schacht eingesperrt, zwei weitere Personen wurden in einem Parallelschacht verschüttet. Sie konnten erst Stunden nach den anderen gerettet werden; nein, warte, das stimmt nicht ganz. Der
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