Ins Eis: Roman (German Edition)
darüber, wenn wir zu Hause sind, in Ordnung? Ich habe übermorgen einen CT-Termin, dann wissen wir mehr. Es kann auch etwas Harmloses sein. Jetzt und hier haben wir andere Sorgen.«
»In Ordnung«, sagte Fredrik.
Elisabeth hatte ihre Suppe nicht angerührt. »Da ist noch etwas: Heute Vormittag war ein Journalist im Hotel. Er wollte ein paar Fragen stellen, später ist er dann bei Fredrik im Krankenhaus aufgetaucht. Glücklicherweise hat Ingrid ihn weggeschickt.«
»Was für ein Journalist war das?«, wollte Kirsten wissen.
»Irgendein Reporter von der Lokalzeitung, was weiß ich. Wenn das mit Tobias herauskommt …«
»Das wird es.«
»… dann steht es womöglich auch bald bei uns in der Zeitung.« Sie hielt inne. »Es tut mir sehr leid, Hartmut, das mit Tobias«, fügte sie hinzu.
Ihr Bruder winkte den Kellner herbei und bestellte sich Bier.
Während sie danach schweigend auf den Hauptgang warteten – Elisabeth hatte Lachs für alle geordert –, vibrierte Kirstens Handy in der Gesäßtasche. Sie öffnete die eingegangene SMS unter dem Tisch, wo das Tischtuch den Blick auf das Display verdeckte.
In 20 Minuten an der Ecke vor Kroa.
»Was hat Tobias Onkel Hartmut geschrieben?«, fragte Jonas in einem weinerlich singenden Tonfall, der andeutete, wie oft er die Frage schon wiederholt hatte, fortwährend ignoriert von den Erwachsenen. Mittlerweile war er lauter geworden. »Was ist mit ihm und der Polizei? Kommt Tobias jetzt auch weg? So wie Papa und Onkel Erland?«
Die anderen stierten ihn fassungslos an. Kirsten schob ihren Stuhl zurück. »Nein, Tobias kommt nicht weg, Schatz. Ich erklär’s dir gleich, komm, lass uns gehen.«
»Aber ich habe noch Hunger!«
»Elisabeth hat Fisch bestellt, den magst du nicht. Wir holen dir woanders was.«
»Wo denn?«
Kirsten bückte sich, bis ihr Mund auf seiner Kopfhöhe schwebte. Weil Jonas neben seinem Opa saß, gelangte ihre Antwort mühelos bis an Fredriks Ohr. »In 1981.«
Jonas schob die Unterlippe vor. Fredrik rührte sich nicht.
Es war halb eins bei minus dreiundzwanzig Grad. Die Schattenlinie an den Bergen auf der anderen Fjordseite war im Vergleich zur letzten Woche ein Stück nach unten gerutscht, die Sonne ein paar Meter näher gekrochen wie eine träge rieselnde Sanduhr, die man nur alle paar Tage überprüfte. Man könnte waagrechte Striche auf die Berge malen, überlegte Kirsten, und die Striche mit riesigen Datumsziffern versehen. Jeder Tag ein paar Meter, so maß sich die Zeit in Raum.
Kirsten und Jonas lieferten sich ein Wettrennen die letzten Meter bis zu Tim, der sie an der Ecke bei einer von Longyearbyens Kneipen erwartete. Kirsten ließ Jonas gewinnen, der erst stoppte, als sich seine Arme um Tims Oberschenkel schlangen. Tim drückte seine Zigarette aus.
»K. O., in diesem Fall handelt es sich nicht nur um Initialen, das ist ein richtiger Spitzname. Weil ihn mal eine Sechzehnjährige k. o. geschlagen hat. Und weil das so einprägsam ist, habe ich unserem lieben Trapper auch nur eine Flasche Whisky kaufen müssen, um ihn daran zu erinnern. Jedenfalls, unser Mann, K. O., war Minenarbeiter; als der Schacht einstürzte, stand er direkt davor. Er war auch mit von der Partie, als sie endlich zu den Verschütteten vorgedrungen sind.«
»Und der Trapper?«
»Der war nur am ersten Tag der Rettungsaktion dabei. Ein Stein ist auf seinen Fuß gefallen und hat ihm den großen Zeh gebrochen, da war es vorbei.«
Die Straße, der sie folgten, stieg leicht bergan. Rechts und links erhoben sich mehrstöckige Häuser, alle im selben Stil. Kirsten rückte den Riemen ihrer Umhängetasche zurecht. Sie hatte sie seit Fredriks Geburtstag nicht ausgepackt, und das Gewicht zog an ihrer Schulter. Das rundliche Gesicht von Jonas’ Stoffseehund schaute sie durch den offenen Reißverschluss hindurch an.
»Das heißt, jetzt sind wir also auf dem Weg zu K. O.?«
»Der ist vor zwei Jahren gestorben. Aber seine Frau lebt noch hier, zu der gehen wir.«
»Und die anderen beiden Initialen?«
»Schon vor über zehn Jahren weggezogen.«
»Wie heißt die Frau?«
»Idunn Osmund, ihr Mann hieß Karl-Gustav. Idunn muss jetzt Anfang fünfzig oder so sein. Hat bis vor kurzem im Alkohol-Shop im Supermarkt gearbeitet, deshalb wusste der Trapper auch gleich, wo sie wohnt und wie ihre Telefonnummer lautet. Dafür musste ich ihm versprechen, bei unserer nächsten Tour zu seiner Hütte eine weitere Whiskyflasche mitzubringen.«
»Warum sie ihm nicht gleich kaufen?«
»Es gibt in
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