Ins Eis: Roman (German Edition)
Schacht, in dem Fredrik ausharren musste, hätte für zwei Menschen wohl nicht gereicht, auf keinen Fall länger als achtundvierzig Stunden.«
»Also alles Hörensagen.«
»Scheint so.«
»Aber die Namen dieser angeblichen Zeugen werden nirgendwo genannt?«
»In diesem Notizbuch ist kein einziger Name ausgeschrieben. Nicht einmal die Namen der Dichter vom Anfang.« Er zeigte ihr, dass auch dort lediglich Initialen unter den Gedichten standen. »Wenigstens nennt der Zeitungsartikel die Namen der Beteiligten. Einen davon kenne ich, er lebt sogar noch hier. Er ist jetzt Trapper, ein eigenwilliger Kauz. Zufällig weiß ich, dass er gerade in der Stadt ist. Ich kann ihn fragen, ob ihm eine der Initialen was sagt. Seine sind ebenfalls darunter, allerdings unter denen, die außer ein paar Details über den Ablauf der Rettungsmission nicht viel mehr erzählt haben, als auch im Artikel stand. Zumindest nichts, was der offiziellen Version widersprechen würde.«
»Kannst du das gleich tun? Ihn fragen?«
Tim seufzte und trank seinen Kaffee leer. »Ja, das kann ich gleich tun. Ich denke, ich weiß, wo ich ihn auftreibe. Wenn er in der Stadt ist, verbringt er die meiste Zeit im Supermarkt oder in einer der Kneipen. Kannst du mir zweihundert Kronen leihen?«
Sie reichte ihm fünfhundert.
Zum Mittagessen erschien Fredrik im Hotel, er war mit zwei Röhrchen Tabletten im Gepäck aus dem Krankenhaus entlassen worden. Die Fragen nach seinem Befinden beantwortete er einsilbig, einen Infarkt habe er jedenfalls nicht erlitten. Elisabeth wich keinen Zentimeter von seiner Seite, ihre Fingerspitzen ließen selbst dann nicht von ihm ab, als er sich Mineralwasser einschenkte und die Weste auszog. Tanja und Tobias erschienen nicht zum Essen, obwohl Elisabeth einen Tisch für alle reserviert und per Telefon oder SMS jeden über die Uhrzeit informiert hatte. Den Grund für ihre Abwesenheit erfuhren die anderen zusammen über der Vorspeise von Hartmut, der in das Restaurant stürmte wie ein wütender Bulle, sich auf seinen Stuhl fallen ließ, die Serviette auf den Schoß schleuderte und den Löffel in die Suppe stieß, bis es spritzte.
Es war Tobias gewesen, der ihm auf der »Noorderlicht« den Zettel mit der anonymen Drohung an die Kabinentür geheftet hatte. Sein eigener Sohn. Die Polizei hatte es über den Stift, den Tobias benutzt hatte, herausgefunden. Eine Schriftprobe brauchten sie gar nicht mehr, der Junge hatte bereits gestanden.
»Aber was hat er denn damit bezwecken wollen?«, fragte Peter, ebenso entgeistert wie der Rest der Gruppe. Hartmuts Kartoffelsuppe verschwand so schnell, als verfüge der Teller über ein Abflussrohr. Zwischen den Löffeln schnaufte er hörbar.
»Er wollte mir Angst einjagen, hat er gesagt. Ein verdammter Trittbrettfahrer, so nennt man doch solche Idioten. Wenn er wenigstens den Mut hätte …«
»Angst? Aber wieso wollte er dir Angst einjagen?«
»Er hat wohl gedacht, ich würde mich aus blanker Paranoia zu der Überzeugung durchringen, ein Verkauf der Bank oder zumindest meiner Anteile und der Rückzug in den Ruhestand wären die bessere Alternative.«
»Geld«, murmelte Fredrik. »Deinem Sohn geht es also um Geld. Braucht er Cash, oder was will er?«
Hartmut schleuderte den Löffel auf den Tisch. Der überschlug sich zweimal und hinterließ drei gelbliche Flecken auf dem weißen Tischtuch. »Wisst ihr, was mich am meisten ärgert? Dass er ein Versager und Feigling ist, wusste ich ja, aber dass er offenbar noch glaubt, das hätte er von mir … Wie kann er annehmen, ich würde wegen so einem dummen Geschmiere an meiner Tür Investitionsentscheidungen, meine Karriere, mein Leben überdenken? Wie albern kann er sein?«
»Würdest du ihm denn Geld geben, selbst wenn du deine Anteile verkaufen würdest?«
»Ganz sicher nicht. Der Trottel würde doch eh alles verzocken.«
»Viel Sinn macht das alles nicht«, bemerkte Peter.
»Für dich vielleicht nicht, aber dein Gehirn arbeitet ja auch nicht völlig verdreht.«
»Sei mir nicht böse, Hartmut, ich respektiere dich sehr, aber ich glaube, diesmal erzählst du uns nicht alles.«
Hartmut starrte auf seinen leeren Teller. Elisabeth löste endlich ihre Hand von Fredrik und legte sie stattdessen auf die ihres Bruders. »Erzähl es ihnen, mein Lieber«, drängte sie sanft.
»Da ist ein Schatten auf meiner Lunge«, war alles, was Hartmut sagte.
Es blieb still am Tisch. Nicht ein Löffel klapperte auf Porzellan. Hartmut holte tief Luft. »Wir reden
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