Ins Eis: Roman (German Edition)
jawohl.«
»Fredrik Stolt war noch einmal auf Spitzbergen? Wann war das?«
»Weiß ich nicht mehr genau. Muss Anfang der Neunziger gewesen sein. Aber jetzt ist er auch wieder hier, hab ich gelesen. Es stand in der Zeitung. Und ’nen Jungen von ihm hat’s erwischt. Draußen.« Sie wedelte in Richtung Fenster.
»Haben Sie ein Foto von Ingrid und ihrem Vater?«
»Nein, ich glaube nicht. Aber von ihr und ihrer Mutter. Das hat sie mir geschenkt, als sie den Haushalt ihrer toten Mutter aufgelöst hat. Außerdem ihre Nähmaschine, das war nett, denn meine war kurz vorher kaputtgegangen. Sie hat nichts von den Sachen verkauft, alles verschenkt, so ist sie halt. Obwohl es eine schwere Zeit für sie war. Ein Onkel, der hat ihr geholfen, aber die standen sich nie nah. Der Onkel hatte selber sechs Kinder, seine Frau, die hat Ingrid nicht leiden können. Sind dann auch bald wieder weggezogen.«
Idunn Osmund hatte weitergeredet, während sie im Wohnzimmer verschwunden war. Jetzt kam sie mit einem Fotoalbum zurück. Sie blätterte darin, bis sie ein Bild fand. Es war groß, füllte die halbe Seite, die Aufnahme zeigte Ingrid als Teenager. Sie hatte kurze Haare; die Lippen ihrer Mutter waren dunkelrot geschminkt, beide lachten über etwas unterhalb der Kamera. Die Aufnahme war lediglich an einer Seite mit Klebestreifen im Album befestigt. Tim klappte das Bild hoch. Kirsten lehnte sich über ihn, um ebenfalls einen Blick auf die mit roter Tinte beschriebene Rückseite werfen zu können.
»Ingrid hat Gedichte gemocht. Sie hat nie selbst gedichtet, aber das hier hat sie für mich abgeschrieben. Musste es erst selbst noch aus dem Russischen übersetzen. Ein russisches Gedicht über Freundschaft, das hat man hier früher, also als das mit der Sowjetunion noch war, nicht so oft zu lesen gekriegt. Ich mag es, es hat einen guten Klang.«
Ihre Finger glitten über die Schrift. Sorgfältige, konzentriert gesetzte Buchstaben, klein, schnörkellos. Blockschrift. Eine Schrift, bei der sich die Glut hinter klirrender Disziplin und unerbittlichem Willen verbarg.
»Kirsten, ich glaube, du solltest zum Gouverneur gehen. Die müssen erfahren, dass Erland Fredrik mit Ingrids Notizbuch und dieser alten Geschichte erpressen wollte.«
»Erst will ich mit Fredrik reden.«
»Kirsten!«
Sie fuhr zu ihm herum. Jonas, der an ihrer Hand lief, riss es bei der heftigen Bewegung mit. »Es ist ein Motiv, Tim!«, fauchte sie. »Es ist nicht Fredrik, der tot ist, sondern Erland, verstehst du?« Sie atmete heftig, nicht nur vom zu schnellen Laufen. »Ich habe keine Ahnung, wie Ingrid da überall reinspielt, aber zwischen Erland und Fredrik ist etwas vorgefallen, etwas Hässliches. Weil Erland von dieser Geschichte wusste, und jetzt ist Erland tot. Die Polizei zweifelt doch jetzt schon an einem Unfall. Wenn sie nun noch davon erfahren, dann werden sie Fredrik womöglich festnehmen als Verdächtigen. Nein, wir gehen erst zu Fredrik. Alles andere würde er niemals verstehen. Diese Warnung, diese Erklärung hat er verdient.« Sie eilte weiter. Jonas stolperte verstört neben ihr her. Er drehte den Hals zu Tim hin. Mit ein paar Sätzen schloss dieser zu Mutter und Sohn auf.
»Dein Schwiegervater hat bestimmt kein Interesse daran, das Notizbuch bei der Polizei zu sehen. Oder bei sonst irgendwem. Hast du etwa vor, es ihm zu überlassen?«
»Er hatte genug Zeit, es loszuwerden, wenn er das gewollt hätte.«
Sie merkte, ihr Einwurf überzeugte ihn nicht. Doch er verzichtete, darauf hinzuweisen, dass Fredrik seit Erlands Tod kaum allein gewesen war, und wenn, dann an Orten, wo das eisige Klima jeglichen Abfall erst einmal konservierte. Wo sich nichts einfach vergraben ließ.
»Glaubst du, er weiß, dass die Notizen von Ingrid stammen? Du hast gesagt, bei dem Streit mit Erland hat er über einen Journalisten geschimpft.«
»Das werden wir gleich herausfinden. Ingrid ist übrigens die Frau, die ich die ganze Zeit über gesucht habe.«
Es dauerte einen Moment, bis Tim nachvollzogen hatte, worauf sie anspielte. »Oh. Woher weißt du das?«
»Sie hat’s mir gesagt. In der letzten Nacht auf der ›Noorderlicht‹.«
Tim kaute auf dieser Neuigkeit die ganze Haupteinkaufsstraße entlang herum. »Das würde erklären, wie dein Mann an das Notizbuch gekommen ist. Er hat es von ihr. Aber wieso hat sie es ihm überhaupt überlassen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Willst du sie das ebenfalls selbst fragen, oder willst du das zumindest der Polizei überlassen?«
»Ich
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