Ins Eis: Roman (German Edition)
schulde dies nur Fredrik. Ingrid nicht. Überhaupt nicht. Sollen sie mit ihr machen, was sie wollen.«
Sie eilten am Krankenhaus vorbei und bogen um die Ecke zum Hotel. Ein Auto fuhr gerade vom Parkplatz weg; auf seiner Seite prangte das Emblem des Gouverneurs von Svalbard. Bevor der Wagen rechts in die Straße abbog, erkannte Kirsten Monika auf dem Beifahrersitz. Sie hatte eigentlich gehofft, Jonas bei seiner Patentante lassen zu können.
»Wir gehen zu Opa?«, fragte Jonas hoffnungsvoll.
»Schatz, hast du nicht Lust, mit Tim einen Schneemann zu bauen? Ich muss nur kurz was mit Opa besprechen.«
»Aber ich will mit zu Opa!«
»Später, mein Großer. Später.«
Doch Fredrik war nicht auf seinem Zimmer. Niemand öffnete auf Kirstens Klopfen hin, auch von Elisabeth keine Spur. Fredrik war nicht in der Sauna, nicht im Restaurant, die Bar neben dem Eingang des Hotels hatte noch geschlossen. An der Rezeption teilten sie Kirsten mit, ihr Schwiegervater habe sich um die Mittagszeit ein Schneemobil geliehen. Nein, sie wüssten nicht, wohin er wollte; er habe nur von der Rezeption aus beim Verleih angerufen und sei dann zu Fuß dorthin gelaufen. Ob sie wüsste, wo das sei, unten am Fjord, einfach über die Straße.
Auf halbem Weg zum Verleih sammelte Kirsten Tim und Jonas ein. Die beiden waren noch auf der Suche nach einem guten Platz; Jonas wollte den Schneemann von seinem Hotelzimmer aus sehen können. Kirsten versuchte, Fredriks Handynummer anzurufen. Vergeblich.
»Ich bin so ein Idiot«, murmelte sie an Tim gewandt. »Ich hab beim Mittagessen, als deine SMS gekommen ist, zu Fredrik gesagt, ich würde ins Jahr 1981 gehen.«
»Und jetzt glaubst du, dass er das wörtlich genommen hat?«
»Ja, genau. Oder vielmehr nicht wörtlich. Örtlich.«
Vor dem Motorschlittenverleih parkte eine Armada aus Kufenfahrzeugen. »Nicht viel los heute Nachmittag«, murmelte der Mann, der ihnen Fredriks Eintrag zeigte. »Dabei soll das Wetter bis morgen stabil bleiben.«
Tim bat Kirsten um den Zeitungsausschnitt. Er hatte sich über den Verleihzettel gebeugt, auf Fredriks Unterschrift klopfend. »Hier, der Fjord, den Fredrik als Ausflugsziel angegeben hat: Die Mine von damals, die liegt dort in der Nähe. Du scheinst also recht zu haben mit deiner Vermutung.«
»Können wir da hinfahren?«
»Klar, ist nicht schwer zu finden. Das Wetter passt, und wir haben noch genug Licht, auf jeden Fall für die Hinfahrt. Falls uns Fredrik nicht eh schon vorher entgegenkommt.«
»Ich dachte, mit dem Anhänger kann man nicht schnell fahren?«
»Wir nehmen Jonas zwischen uns. Die sollen uns einfach eine Maschine mit einer längeren Sitzbank geben.« Er wechselte ein paar Worte mit dem Mann hinter dem Tresen. Der schaffte kurz darauf Helme, Anzüge und Schuhe herbei. Tim tippte unterdessen eine SMS. »Für Oda«, erklärte er. »Damit sie weiß, wo wir uns rumtreiben. Da draußen haben wir keinen Empfang mehr, also falls du deiner Familie Bescheid sagen willst, solltest du es gleich tun.«
»Ich wüsste nicht, was ich ihnen sagen soll.«
Die Fahrt zu dritt auf dem Schlitten gestaltete sich deutlich rasanter als die ihres Ausflugs in das Tal, in dem Kristoffer gestorben war. Jonas saß zwischen ihnen, begeistert, diesmal wie ein Erwachsener auf dem Schlitten fahren zu dürfen und nicht in den Anhänger verfrachtet zu werden. Der Schnee flog bloß so unter den Kufen vorbei. Der Trail war ausgefahren, und Tim schien genau zu wissen, wohin er unterwegs war, denn er konsultierte nicht einmal das GPS. Das Gewehr, das er vor Verlassen der Stadt noch rasch zusammen mit einem Notpeilsender aus dem Agenturauto geholt hatte, hing diesmal über Kirstens Rücken, sein befremdliches Gewicht drückte sich durch die Jacke hindurch schwer in ihre Schulter.
Nicht weit hinter der Stadt zog ein Flugzeug über sie hinweg, kein Linienflugzeug, sondern ein von der Sonne beleuchteter Privatjet. Seine Schnauze war im Landeanflug nach unten gesenkt, das Triebwerk ausgefahren. Kirsten fragte sich, ob sich die Familie über die Polizei und den Gouverneur hinwegsetzen und noch heute nach Deutschland zurückkehren würde und ob sie und Jonas womöglich gerade ihren Abflug verpassten. Danach begegneten sie noch zwei Mal Motorschlittenfahrern auf dem Rückweg von ihren Ausflügen, man grüßte sich im Vorbeifahren mit erhobenem Arm.
Sie fuhren am Fuß der Berge entlang. Hunderte von Metern über ihnen zog sich die Grenze zwischen Sonne und Schatten zu den Gipfeln zurück,
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