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Ins Eis: Roman (German Edition)

Ins Eis: Roman (German Edition)

Titel: Ins Eis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Nieberg
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mit den anderen Kumpeln ärztlich versorgt worden.«
    »Fredrik hat uns diese Geschichte nie erzählt.«
    »Mein Großvater ist im Zweiten Weltkrieg in einem Gebäude verschüttet worden, das hat er uns auch nie erzählt. Ich kenne die Geschichte nur von meiner Großmutter. Selbst wenn man ihn fragte, hat er nichts darüber herausrücken wollen. Schwarz, hat er bloß gemurmelt. Es sei alles schwarz gewesen.«
    »Die Schweiz ist doch nicht bombardiert worden.«
    »Schaffhausen schon. Angeblich ein Navigationsfehler der Amerikaner. Wer’s glauben mag.«
    Kirsten zog das Stück Papier wieder an sich. Sie zeigte auf die Randnotiz in Kristoffers Handschrift. »Was steht hier?«
    »Das ist ein Verweis auf ein Notizbuch.«
    »Ein Notizbuch? Ich habe bei Kristoffers Sachen kein Notizbuch gefunden.«
    Tim zuckte mit den Achseln und leerte sein Bier.
    »Wo Kristoffer diesen Artikel wohl herhatte?«
    »Vermutlich aus dem Archiv von Svalbardposten ?«
    »Könntest du dort anrufen und nachfragen?«, bat Kirsten.
    Tim trommelte mit den Fingern auf dem Tisch. »Und wenn ich eine Frau am Telefon habe, soll ich sie dann fragen, ob sie mit Kristoffer was am Laufen hatte?«
    »Bitte, Tim. Ich versuche nur herauszufinden, mit wem mein Mann hier auf Spitzbergen alles in Kontakt war. Es steht dir frei, das als Teil deines Jobs als mein Reiseleiter zu betrachten.«
    Das war kein netter Kommentar, und prompt lehnte sich Tim zurück, so weit es die Stuhllehne zuließ.
    »Also gut.« Er griff nach seinem Tabak und der Jacke und stand auf. Er blieb eine ganze Weile verschwunden, so dass Kirsten in der Zwischenzeit auf der Toilette gewesen war, zusammen mit Jonas ein Stück Kuchen zum Nachtisch vertilgt und ein Puzzle gelöst hatte.
    »Ich habe mich bei Svalbardposten erkundigt. Sie sagen, Kristoffer sei nie bei ihnen vorstellig geworden. Ich habe sie auch gebeten, in den folgenden Ausgaben nachzuschauen. Es gab später noch eine zweite Notiz über den Unfall. Darin stand, dass die Untersuchungen zu dem Unfall, bei dem Ingenieur Fredrik Stolt und einige Arbeiter verschüttet wurden, abgeschlossen seien. Ursache war wohl eine fehlgezündete Sprengung. Die getöteten Arbeiter sind durch den Einbruch der Schachtdecke ums Leben gekommen. Ihre Familien erhielten eine Entschädigung, und Fredrik Stolt hat sich bei allen Rettern persönlich bedankt. Als leitender Ingenieur hat er der Zeitung gegenüber betont, dass die Gruben in Longyearbyen grundsätzlich sicher seien; in diesem Falle habe es sich eindeutig um menschliches Versagen und eine Verkettung unglücklicher Umstände bei der Erkundung einer neuen Mine gehandelt. Er selbst ist zwei Tage nach dem Unfall bereits wieder in die Grube eingefahren, aber die Grube selbst, so wurde später berichtet, ist nie in Betrieb genommen worden wegen zu hoher Kosten bei zu niedrigen Ertragswerten und logistischer Probleme.«
    Zurück im Hotel wühlte sich Kirsten ein letztes Mal durch die Plastikboxen. Doch sie hatte sich nicht getäuscht, ein Notizbuch war nicht unter den Sachen. Also kramte sie in ihren Unterlagen nach der Kopie der Inventarliste, die der Gouverneur ihr mitgegeben hatte. Die Liste führte tatsächlich ein Notizbuch auf, das in Kristoffers Hotelzimmer gefunden worden war, zusammen mit einer Mappe und Reiseunterlagen. In der Liste war das Notizbuch mit gelber Farbe markiert. Alles, was sich nicht in den Plastikboxen finde, habe Kristoffers Bruder vor der Überführung der Leiche an sich genommen, hatte der Gouverneur Kirsten erklärt. Seine Leute hätten diese Dinge auf der Liste gesondert gekennzeichnet.
    Erland hatte ihr die Kleider für Jonas gebracht, Kristoffers Geldbeutel, Blackberry, GPS und Kamera – alle diese Gegenstände waren in der Liste farbig markiert. Ein Notizbuch hatte Erland ihr nicht überreicht.
    Am frühen Nachmittag des nächsten Tages rief Kirsten von ihrem Zimmer aus die Rezeption an und bat um einen Cappuccino für sich und eine Wärmflasche für Jonas, der von Bauchschmerzen geplagt im Bett lag. Sie hatte den Vormittag mit ihm verbracht, hatte sich sogar das Mittagessen aufs Zimmer bringen lassen und sich vom Treiben im Hotel ferngehalten. Den Cappuccino bekomme sie im Restaurant, erklärte die Rezeptionistin in gestresster, frostiger Tonlage, sie habe gerade keinen Mitarbeiter frei. Im Hintergrund redete eine andere Frauenstimme weiter, klar, freundlich, doch mit der unmissverständlichen Selbstverständlichkeit von Menschen, die man nicht warten lassen konnte.

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