Ins Eis: Roman (German Edition)
Kirsten. Mit Elisabeth war es wie mit einer Hollywood-Diva: Niemand blieb ungerührt, wenn Anmut zerbröckelte und sich das bis dato Unantastbare als vergänglich enthüllte.
Eigentlich hatte Kirsten Elisabeth nach ihren gemeinsamen Aufenthalten in Spitzbergen mit Kristoffer fragen wollen, aber Elisabeth schien so außer sich, dass Kirsten sich spontan zu einer anderen Frage entschied: »Was ist da zwischen Fredrik und Ingrid Solberg?«
»Was da ist?« Elisabeth nahm zwei Stück Zucker und kippte sie so schwungvoll in ihre Tasse, dass der Tee beinahe überschwappte. »Willst du wissen, was ich glaube? Ich meine, was soll ich auch glauben, mein Ehemann findet ja, es gebe nichts zu besprechen, also was bleibt mir anderes zu denken? Es ist ja nicht so, dass es etwas mit mir direkt zu tun hätte. Immerhin war ich damals noch ein Kind, nicht seine Ehefrau! Wieso also soll ich nicht die Wahrheit erfahren? Weil er unfehlbar ist? Ich bin doch nicht naiv! Wir wissen doch, wie Männer sind.« Am Ende ihres abgehackten Monologs schürzte sie die Lippen. Die Anklage direkt auszusprechen, schien sie Kirsten überlassen zu wollen.
»Verstehe ich das richtig? Du glaubst, Ingrid Solberg ist Fredriks Tochter? Dass er in den Siebzigern eine Affäre auf Spitzbergen hatte, und Ingrid ist das Ergebnis?«
»Was glaubst du denn? Warum sonst hätte er sie all die Jahre unterstützen sollen? Dazu jetzt diese Einladung, ganz offenbar betrachtet er sie als Familienmitglied. Nenn es späte Einsicht, altes Bedauern, wie auch immer. Im Alter meinen Männer oft, noch ein wenig aufräumen zu müssen.«
Kirsten pfiff leise durch die Zähne.
»Wer könnte ihm denn auch einen Vorwurf machen?«, fügte Elisabeth versöhnlicher hinzu. Sie griff an ihren Kopf und korrigierte mit geübten Griffen den Sitz zweier blonder Strähnen. »Fredrik ist ein Mann von ausgesprochener Loyalität, aber er hat über Jahre hinweg monatelang von seiner Familie getrennt gelebt. Allein an diesem gottverlassenen Ort, seine Frau und Kinder eineinhalbtausend Kilometer weit weg. Wer glaubt denn da bitte nicht an außereheliche Beziehungen? Wer weiß, womöglich ist er am Ende sogar deshalb von Store Norske weg und zurück nach Bergen gegangen.«
»Du meinst, er hat Store Norske verlassen, weil seine Frau« – Kirsten korrigierte sich –, »also seine erste Frau, Kristoffers und Erlands Mutter, herausgefunden hat, dass er in Longyearbyen eine Geliebte hatte? Und ein außereheliches Kind?«
»Was weiß ich, gut möglich. Nicht dass Fredrik mit mir darüber sprechen würde. Dieser Sturkopf!«
»Was hat Kristoffer zu alldem gesagt? Hast du mit ihm darüber geredet?«
»Natürlich habe ich das! Ich meine, deswegen bin ich ja im August hierhergeflogen. Wegen Ingrid Solberg. Das war gar nicht geplant, aber als mir dann Fredrik plötzlich mitteilte, Kristoffer würde ihr eine Einladung überreichen, habe ich eben meine Pläne angepasst. Kristoffer hat nur gesagt, solche Dinge solle ich direkt mit seinem Vater besprechen, nicht mit ihm. Er finde es außerdem unangebracht, wenn ich Ingrid hinter Fredriks Rücken aushorchen würde. Er war in der ganzen Angelegenheit überhaupt keine Hilfe.« Sie seufzte. »Entschuldige.«
»Macht nichts. Kristoffer war auch nicht unfehlbar.«
»Ja, er war der Sohn seines Vaters. Ein echter Stolt. Das war im Übrigen mein letztes Gespräch mit deinem Mann, Liebes. Ein Streit über seinen Vater. Das tut mir jetzt im Nachhinein sehr leid.«
»Also hat Kristoffer nicht bestritten, dass Ingrid und er Halbgeschwister sind?«, hakte Kirsten nach.
»Kristoffer hat gar nichts dazu gesagt.«
»Und was hast du von Ingrid erfahren?«
Elisabeth hatte sich mittlerweile wieder beruhigt. Sie strich sich mit den Händen die Seidenbluse glatt, zupfte ein Haar von ihrer Jeans. Sie trug ihre Lieblingsfarben: silber, weiß und eisblau. »Die Frage würde ich gerne an dich zurückgeben, Kirsten. Du hast sie auch getroffen. Was denkst du?«
»Ich hatte nicht den Eindruck, dass Ingrid sich für Fredriks Tochter hält.«
»Ja, das meine ich auch. Zu Beginn war ich nach Spitzbergen gekommen, um herauszufinden, ob Ingrid vielleicht scharf auf Geld ist. Immerhin ist Fredrik nicht arm, und sein Erbe, auf das sie als leibliche Tochter Anspruch hätte, ist beträchtlich. Aber seit meinem Besuch bei ihr glaube ich, sie weiß es nicht. Ich war in ihrer Wohnung, musst du wissen. An der Wand hing ein Bild von ihren Eltern. Es zeigte ihren Vater in jungen Jahren –
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