Ins Eis: Roman (German Edition)
direkt in Spitzbergen bleiben. Deshalb sind die Steuersätze niedriger.«
»Faszinierend!«, sagte Hartmut. »Kann ich hier eine Bank aufmachen?«
Alle lachten. Kirsten begann zu berichten, was sie und Jonas bislang erlebt hatten, wobei sie einiges ausließ. Die Geschichte mit dem Eisbären bescherte ihr entsetztes Händeklatschen und spitze Ausrufe, der Ausflug in das Tal, in dem Kristoffers Leiche gefunden wurde, rief Schweigen bei den einen hervor und respektvolle Anteilnahme bei Erland, Monika, Elisabeth und Peter.
»Außerdem«, Kirsten richtete den Blick auf Erland, »habe ich Kristoffers Sachen im Büro des Gouverneurs abgeholt.«
»Ich dachte, Erland hätte das alles direkt nach Kristoffers Tod geregelt?«, sagte Elisabeth.
»Nein, er hat nur die Wertsachen mitgenommen und die Geschenke für Jonas. Außerdem ein paar Unterlagen.«
Erland nickte. Kirsten wartete, aber er äußerte sich nicht weiter. Sie sah ein, dass dies nicht der passende Moment war, das fehlende Notizbuch zu erwähnen, außerdem scherzte Peter bereits: »Wenn du die Sachen mit nach Deutschland zurücknehmen möchtest, Kirsten, hast du Pech. Wir hätten beinahe keine Starterlaubnis erhalten, weil der Flieger dank all der Kleidungsstücke der Damen fast zu schwer zum Abheben war.«
Elisabeth griff geschickt Peters Vorlage auf und lenkte das Thema fort von Kristoffers Tod und stattdessen auf ihre Garderobe und zum Ablauf des restlichen Tages. Es würde ein spätes Dinner geben, kündigte sie an, denn sie würden in Fredriks Geburtstag hineinfeiern und um Mitternacht gemeinsam auf sein Wohl anstoßen. Damit hätten jetzt alle vier Stunden Zeit, um sich auszuruhen und für den Abend zurechtzumachen. Die Gesellschaft verstand den Wink und zerstreute sich.
Kirsten blieb sitzen. Sie nippte an ihrem Cappuccino, beobachtete, wie Elisabeth, die nicht wie die anderen nach oben auf ihr Zimmer ging, erst mit der Rezeptionistin sprach, sich dann verbinden ließ und am Telefon mit ihrem Gesprächspartner Punkte einer Liste durchging, die sie aus ihrer Handtasche zog. Als Nächstes redete sie mit dem Koch des Hauses, ließ sich am Ende der Unterhaltung noch einen Tee servieren und nahm dann erneut neben Kirsten Platz. Sie sah kein bisschen erschöpft aus.
»Ist alles zu deiner Zufriedenheit, Elisabeth?«
»Fast. Ich muss zugeben, gar nicht schlecht für das Ende der Welt. Ich habe es mir schlimmer vorgestellt. Nur die Bitte, man möge sich doch die Schuhe beim Betreten des Hotels ausziehen, ist schon sehr befremdlich. Soll eine Dame wirklich in ihren Nylons aufs Zimmer tänzeln?«
»Vielleicht rechnen sie hier eher mit dicken Wollsocken.«
»Was im Prinzip keinen Unterschied macht. Du bist keine Vegetarierin, oder? Ich war mir da gerade nicht sicher.«
»Nicht im Urlaub und nicht, wenn ich nicht alleine esse. Also nein.«
»Sehr gut, dann passt ja alles.«
»Für wie viele Leute hast du das Dinner bestellt?«
Elisabeth war alles andere als dumm. Sie wusste sofort, worauf Kirsten hinauswollte. Sie richtete sich noch gerader auf als sonst, zwei steile Falten erschienen zwischen ihren Augenbrauen. »Darf ich annehmen, dass du Frau Solberg getroffen hast?«
»Ja, das habe ich. Durchaus eine Überraschung, wie ich zugeben muss.«
Unter Elisabeths Make-up zeichneten sich hektische Flecken ab. »Das ist dermaßen unglaublich, was Fredrik sich da geleistet hat!«, entfuhr es ihr. »Ich bin froh, dass ich nicht die Einzige bin, die ein wenig konsterniert war zu hören, wer noch zum Geburtstag eingeladen ist.«
»Konsterniert würde ich nicht sagen, aber überrascht auf jeden Fall. Das heißt wohl, du warst auch nicht viel besser informiert als ich?«
»Überhaupt nicht. Da denkt man an nichts Böses, und dann fällt plötzlich diese Frau vom Himmel! Weißt du, was er zu mir gesagt hat? Fredrik? Das ginge mich nichts an, und ich solle mir nicht so viele Gedanken machen! Ginge mich nichts an? Ich bitte dich!«
Gebannt beobachtete Kirsten, wie Elisabeth ihre Contenance verlor. Bislang hatte sie dieses Schauspiel nur einmal beobachten können, bei der Beerdigung von Elisabeths Mutter, als die Sargträger stolperten und den Sarg fallen ließen. Da hatte die Fassade zum ersten Mal Risse gezeigt, hatte sich ein sorgsam unter Kontrolle gehaltenes Temperament an die Oberfläche gekämpft und war in einem tränenreichen Gefühlsausdruck an Fredriks Schulter verebbt. Verglichen mit damals war Elisabeths jetziger Ausbruch harmlos, dennoch faszinierte er
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