Ins Eis: Roman (German Edition)
Aussicht auf den höchsten Posten für Peter eine weitere Enthüllung, mit der niemand in dieser Familie, deren Herz die Bank war, gerechnet hatte. Vergessen waren Ingrid, Trond und das Rätsel ihrer Anwesenheit. Während Peter aufstand und Fredrik umarmte, beugte sich Tanja zu Hartmut und zischte ihm etwas in sein Ohr. Erlands Mimik indes war eingefroren, sein Blick wechselte von seinem Vater zu Peter und wieder zurück. Monika presste seinen Arm.
Kirsten nutzte die Unterbrechung und gab ihren Beobachterposten an der Tür auf. Auf dem Weg zu ihrem Platz lief sie dicht genug an Tanja vorbei, um zu hören, wie diese Hartmut zuflüsterte: »…ser alte Despot überschreitet seine Kompetenzen«, war das Bruchstück, das sie verstand. »Das kannst du nicht …« Hartmuts Antwort wiederum ging in einem Hustenanfall unter.
Gerade als Kirsten sich niederlassen wollte, hob Fredrik abermals die Stimme und verkündete, dass sich jetzt bitte alle umsetzen und die Sitzordnung neu durcheinanderwürfeln sollten, bevor der nächste Gang serviert würde. Elisabeth wirkte ein wenig geplagt, was Kirsten nicht verwunderte, denn sicherlich war die ursprüngliche Tischordnung ein Produkt sorgfältiger Planung. Kirsten hingegen war es nur recht, denn auf diese Weise landete sie statt an Tobias’ Seite neben Trond Solberg.
Sie mochte Trond von der ersten Minute an. Er war aufgeschlossen, zugänglicher als seine Frau, wie Kirsten sofort bemerkte, mit einem ruhigen Humor und einer gelassenen Art zu erzählen. Er berichtete Kirsten, wie er Ingrid kennengelernt hatte – in einem Café in Tromsø – und von seiner Arbeit am Universitätszentrum von Svalbard. Wie Fredrik war er Ingenieur, sein Schwerpunkt lag allerdings im Bereich der Geotechnik und Errichtung von Gebäuden auf Permafrostboden. Trond war sechs Jahre älter als Ingrid, anders als sie jedoch ein Zugereister aus Stavanger. Es gefiele ihm gut hier, er konnte sich vorstellen, auf Dauer hier zu leben. Kirsten fragte, ob er und Ingrid Kinder hätten, was Trond verneinte. Kirsten fand, das erste Ehejahr solle ein Paar eh lieber mit Kindermachen-Üben verbringen, als die Zweisamkeit so früh mit einem Baby zu teilen.
»Ingrid und ich sind schon länger zusammen, daran liegt es nicht. Nein, wir können leider keine Kinder bekommen.«
Kirsten entschuldigte sich für ihren Fauxpas.
»Das ist nicht so schlimm. Ich habe vier Nichten und drei Neffen, alle zwischen drei und acht Jahren alt. Weihnachten mit ihnen zu verbringen genügt für ein ganzes Jahr. Aber wenn ich mich hier so umschaue, seid ihr Stolts und Warthenbergs auch nicht gerade eine kinderreiche Familie. Oder ist der Rest daheim geblieben?«
»Nein, im Grunde sind alle hier. Bis auf … bis auf meinen Mann. Kristoffer. Mein Schwiegervater, Fredrik, hat – ich meine, er hatte – zwei Söhne.«
»Ingrid hat mir von dem Unfall erzählt. Es tut mir sehr leid, ich habe ihn selbst einmal kurz gesehen. Er hat sich mit Ingrid getroffen, als er hier war.«
Ingrid war mittlerweile gegenüber von Tobias und Monika gelandet. Die drei schienen sich trotz der Sprachhürde lebhaft zu unterhalten; sogar Tobias beteiligte sich. Kirsten spitzte die Ohren und lauschte den Wortfetzen. Es ging um Frostbeulen. Nicht gerade ein appetitliches Thema, doch immer wieder gerne diskutiert, wie Trond gut gelaunt anmerkte.
Nach dem Dessert erinnerte Fredrik alle daran, dass er sich jegliche Geschenke zu seinem Geburtstag verbeten habe, weshalb sie hoffentlich alle mit leeren Händen gekommen seien. Stattdessen habe er für jeden Anwesenden ein Dankeschön, weil sie seinen Geburtstag mit ihm auf Spitzbergen feierten. Elisabeth erhob sich und holte eine Tasche herbei, aus der sie in goldenes Geschenkpapier gewickelte Päckchen verteilte. Sie sollten ihre Geschenke nicht sofort auspacken, gebot Fredrik Einhalt, sondern am Ende der Reise. Er verteile die Geschenke nur jetzt schon, damit ihm niemand vorwerfen könne, er warte bis nach der Tour, weil er in seinem Geiz auf möglichst wenige Überlebende hoffe.
Das Päckchen für Kirsten und Jonas war ein wenig größer als das der anderen. Kirsten ließ es in die Tiefen ihrer Umhängetasche gleiten und beschloss, Jonas vorerst nichts davon zu sagen, weil sie sonst niemals Ruhe haben würde, bis er es ausgepackt hatte. Sie würde es mit ihm und Fredrik zusammen vor dem Abflug auspacken, zum Abschied von Spitzbergen, überlegte sie.
Während die scherzhaften Spekulationen über die bevorstehenden
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