Ins Eis: Roman (German Edition)
war neugierig. Ich kannte ja die Namen von Fredriks Söhnen. Er war bereits an Bord; ich habe an seine Kabine geklopft, die hinten am Flurende. Er hatte einen Mitbewohner, einen Iren, der öffnete, aber hinter dem Iren linste Kristoffer über seine Schulter.« Ingrid wedelte in Richtung Tür. »Ich wusste sofort, dass er Fredriks Sohn war. In jener Nacht standen wir bis zwei Uhr morgens an Deck.« Ingrid breitete erst die Arme aus, dann ließ sie sie aufeinander zu fallen. Mit einem Knall klatschten die Handflächen zusammen. »Willst du, dass ich noch mehr erzähle?«
»Nein.«
Kristoffer und Ingrid an Deck der »Noorderlicht«. Gegen die Reling gelehnt. Zusammen auf der Bank im Heck. Womöglich waren sie sogar ins Bugnetz geklettert, hatten in die Gischt gelacht, die sich unter ihnen an der roten Hülle der »Noorderlicht« schäumend teilte. Abends hatten sie zusammen beim Abendessen gesessen, hatten sich Bier und Wein aus der Bar geholt, mit dem Stoffeisbären gespielt, der sich mal müde auf die Lehne zwischen den blau bezogenen Bänken im oberen Salon lehnte, dann am Globus schaukelte, ein wenig abgegriffen von berührungssüchtigen Händen. Sie hatten gemeinsam Segel gerefft und der Crew geholfen, das Zodiac zu Wasser zu lassen, mit dem sie an den Küsten der Inseln anlandeten. Gemeinsam waren sie über Strände spaziert, hatten sich gegenseitig Berge hochgejagt, ein japsendes, jauchzendes Wettrennen, bei dem sie die weniger Sportlichen in der Gruppe weit hinter sich ließen. Sie hatten gemeinsam mit den anderen die Tische für die Mahlzeiten gedeckt, und wenn sie sich das Geschirr vom unteren Schiffsbereich in den oberen reichten, hatten sich ihre Finger bei der Übergabe an der Treppe berührt.
Die Idee, Fredriks Geburtstag auf der »Noorderlicht« zu feiern, war zwischen Kristoffer und Ingrid geboren worden. Kirsten, indes, hatte Kristoffer nicht an den Planungen teilhaben lassen.
Der Verrat stach, sie war für vieles gewappnet gewesen, nicht jedoch dafür, als wie austauschbar sich die Selbstverständlichkeiten des Alltags eines Ehepaares offenbaren würden.
»Was ist mit Fredrik?«, fragte sie.
»Er weiß nichts von Kristoffer und mir, nichts von der gemeinsamen Reise damals. Niemand weiß es.«
»Nein, ich meine Fredrik und dich. Bist du dir sicher, dass du nicht Fredriks Tochter bist? Dass du nicht mit deinem leiblichen Bruder geschlafen hast?«
Überraschenderweise prustete Ingrid los. »Ganz sicher.« Sie zog die Beine enger an sich und ging ohne sichtbare Anstrengung in den Lotussitz. »Ich weiß, dass einige in deiner Familie glauben, ich sei Fredriks Tochter. Die Bastardtochter. Aber glaubt ihr nicht, Fredrik wäre eine ausreichend ehrliche Haut, um eine solche Beziehung nicht zu verheimlichen?«
»Fredrik tut, was er meint, tun zu müssen. Ehrlichkeit ist für ihn dabei womöglich nicht das höchste Gut. Wer sagt denn, dass du es wissen würdest? Wenn du von Kristoffer schwanger geworden wärst und dein Mann keinen Verdacht geschöpft hätte, dann würde dein Kind es womöglich auch nie erfahren.«
Einen Moment lang verhakten sich ihre Augen, Ingrids Augen waren vor Zorn geweitet. Kirsten hatte vergessen, dass sie keine Kinder bekommen konnte. Es war ihr egal.
»Ich kannte meinen Vater«, brachte Ingrid mühsam beherrscht hervor. »Ich brauche keine Blutprobe, um zu wissen, dass Fredrik nicht mein Vater ist.«
»Wie kannst du so sicher sein? Dein Vater starb, als du noch klein warst.«
»Ich erinnere mich an ihn.«
»Du hast ein gutes Langzeitgedächtnis.«
»Das beste. Ich erinnere mich an alles. An seine und meine Augen im Spiegel – gleich. Daran, dass er das Daumenendglied neunzig Grad nach hinten biegen konnte, wie ich es kann. Genetisch ein rezessiv vererbtes Merkmal. Sogar an die Farben der Blumen auf dem Tisch neben seinem Bett, als er starb, erinnere ich mich. Getrocknete weiße und gelbe Blüten, Svalbardmohn, vom letzten Sommer gepresst und bewahrt. Weißt du, warum ich mich daran erinnere? Weil ich zwischen Svalbardmohnblüten gezeugt wurde. Weißt du, wo du gezeugt wurdest, Kirsten?«
Sie wusste es nicht.
»Svalbardmohn. Er war nicht bei Bewusstsein, als ich ihm die Blüten ins Krankenzimmer brachte. Er hätte keine Fragen mehr beantworten können. Aber er war mein Vater. Mein leiblicher Vater. Fredrik ist jemand, mit dem wir beide befreundet waren.« Ingrid drehte den Kopf zur Seite, schaute schräg zum Spiegel, wo das Licht ihren Augen wehtun musste. »Ich wollte
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