Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ins Eis: Roman (German Edition)

Ins Eis: Roman (German Edition)

Titel: Ins Eis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Nieberg
Vom Netzwerk:
… Ich möchte nicht, dass Fredrik von mir und Kristoffer erfährt. Ich wollte auch nicht, dass du es erfährst. Diesen Schmerz braucht niemand.« Und dann fügte sie hinzu, und es blieb Kirsten überlassen, die Banalität dieses Satzes mit der Anziehungskraft der sich aufeinander zubewegenden Handflächen von eben in Übereinstimmung zu bringen: »Es war nichts Ernstes zwischen uns.«
    »Dann war sein Tod für dich nicht schrecklich?«
    »Doch, natürlich war er das.«
    »Ist das nicht ein Widerspruch?«
    »Wenn ich, wenn er, also wenn wir nicht so darauf bedacht gewesen wären, dass niemand von uns beiden erfährt – und glaube mir, das waren wir –, dann hätte ich an jenem Abend, als er nicht zurückkam, bereits Alarm geschlagen. Nicht erst am Morgen danach.«
    Kirsten entknotete ihre Finger und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Die Bewegung zerrte an ihren Schulterblättern. Aus einer der anderen Kabinen hallte gedämpftes Husten durch das Schiff.
    »Erzähl mir davon«, verlangte sie. »Von dem Tag, an dem er starb.«
    Ingrid bewegte sich unruhig, ihre Beine lösten sich aus dem Lotussitz. Sie öffnete sie, setzte die Fußsohlen aneinander und umfasste ihre Zehen mit einer Hand. »Du passt hierher, Kirsten«, sagte sie unvermittelt. »Du verstehst dieses Land. Weshalb sein Zorn kalt brennt.«
    »Erzähl mir nicht, wer und was ich bin. Erzähl mir von Kristoffers und deinem letzten Tag.«
    »Ich habe gearbeitet, er ist auf Tour gegangen, alleine, das weißt du. Er ist sehr früh aufgebrochen. Wir haben die Nacht nicht zusammen verbracht. Wir haben nie eine Nacht zusammen verbracht. Deshalb habe ich ihn an dem Tag gar nicht mehr gesehen. Wir hatten verabredet, dass wir uns nach seiner Tour vielleicht kurz treffen würden, er wollte mich anrufen. Hat er aber nicht. Ich habe nichts getan. Ich bin auch nicht zu ihm ins Hotel gefahren. Es gab eine Party an der Universität, ich war mit Trond dort, verstehst du? Erst am nächsten Morgen habe ich im Hotel angerufen; er ging nicht ans Telefon. An der Rezeption sind sie dann aktiv geworden und haben den Sysselmann verständigt. Am selben Tag noch lag im Krankenhaus seine Leiche vor mir.«
    Ruckartig klappte Ingrid die Beine zusammen, dass ihre Knie seitlich aneinanderstießen. »Wie gesagt, wir wollten unsere Partner schützen. Ich Trond, er dich, Jonas und seine Familie. Niemand wusste davon, so sollte es auch bleiben. Deshalb, nur deshalb, habe ich nicht schon am Abend Alarm geschlagen, sondern mir eingeredet, dass er es sich wohl einfach anders überlegt haben muss.«
    »Am Abend«, sagte Kirsten langsam, »ist er wohl schon tot gewesen.«
    Vielleicht hätte sie Ingrid noch mehr Fragen gestellt. Fragen wie, ob es tatsächlich Abende gegeben hatte, wo Kristoffer es sich einfach anders überlegt hatte. Aber sie schwieg. Um ihre Erschöpfung zu ergründen, denn Ingrid irrte sich. Kirsten fand keine Wut mehr in sich, nur die Nadeln aus Frost, die an Felsvorsprüngen und den wenigen Gräsern, die aus dem Schnee und zwischen den gefrorenen Steinen hervorragten, wuchsen, ihre spitzen Enden ausgerichtet nach den vorherrschenden Winden. Ingrid nutzte die Pause in Kirstens Verhör, um sich eine Fleecehose überzuziehen.
    Es war gut, dass sie sie anzog. Denn kaum hatte sie den Bund geschnürt, brach über das Schiff im Eis und seine zerstrittenen Bewohner die Fortsetzung des Albtraums herein.
    Ein gedämpfter, spitzer Aufschrei, einer von der Sorte, die schwachen weiblichen Stimmbändern entwichen und an vor den Mund gepressten Fingern vorbeihuschten, scheuchte alle aus ihren Kabinen. Tanja stand vor Hartmuts Tür. Sie hatte beide Hände über dem Mund zusammengeschlagen, ihre hagere Figur schwankte in einem knöchellangen violetten Seidenmorgenmantel. Zunächst war es dieses Kleidungsstück, das Kirsten auffiel. Hatte die »Noorderlicht« schon einmal einen solchen mit Goldfäden bestickten Morgenmantel gesehen? Der schimmernde Stoff biss sich mit dem rotbraun glänzenden Holz des Schiffsinneren. An den Füßen trug Tanja silberne Pantoffeln.
    Hartmuts Tür stand offen. Da Tobias eine Kabine mit seiner Mutter teilte, hatte Hartmut eine Kajüte nur für sich bekommen. Jetzt stand er halb drinnen, halb draußen, mit dem Gesicht zum Türblatt. Er musste sich die nächstbesten Kleidungsstücke gegriffen haben, die er finden konnte, denn er trug lange Unterhosen und darüber ein Fleecehemd.
    Tobias stolperte aus der Kabine nebenan herbei, barfuß, seine Socken in den

Weitere Kostenlose Bücher