Ins Gras gebissen: Ein neuer Fall für Pippa Bolle (Ein Pippa-Bolle-Krimi) (German Edition)
darauf.«
Mit Freundlichkeit und Hilfe beim Tragen hättest du mich mehr beeindruckt als mit dem Doktortitel eines anderen, dachte Pippa grimmig, freute sich aber insgeheim darüber, dass die Schmeicheleien der Trüffeldiebin dem jungen Arzt keine erkennbare Reaktion entlockten.
»Darf ich vorstellen?«, sagte Wegner stattdessen. »Das ist Frau Pallkötter, Gabriele Pallkötter. Leiterin und Rückgrat des Jugendamtes unserer Region.«
Pippa verzog keine Miene. »Wir sind uns bereits begegnet. Wir teilen dieselbe Vorliebe für gute Schokolade.«
Wie schon im Wartesaal musterte Gabriele Pallkötter Pippa sehr langsam von oben bis unten. Dann kräuselte sie die Lippen. »Und ich kann mir diese Vorliebe sogar leisten.«
Maik Wegner erfasste die Spannung zwischen den beiden Frauen sofort und wechselte elegant das Thema. »Sicher haben Sie Frau Wiek erwartet, Frau Bolle. Aber da ich hier einen Hausbesuch machen musste, habe ich mich angeboten, ihr das abzunehmen. Frau Wiek hat wegen der Beerdigung alle Hände voll zu tun.«
Bei Pippa schrillten alle Alarmglocken. »Beerdigung?«, fragte sie entsetzt. »Es gibt einen Trauerfall im Hause Gerstenknecht?«
Maik Wegner hob beruhigend die Hände. »Um Gottes willen, nein. Einer der Honoratioren von Storchwinkel, unser Gerichtsvollzieher, ist verstorben, und Frau Gerstenknecht hat als Bürgermeisterin die Pflicht, ein standesgemäßes Begräbnis zu organisieren.«
»Alle wichtigen Leute der Umgebung werden Harry Bornwasser das letzte Geleit geben«, warf Gabriele Pallkötter wichtigtuerisch ein.
»Und warum sind Sie dann nicht auf der Beerdigung?«, schoss Pippa zurück.
»Denken Sie wirklich, Doktor Wegner könnte dort noch etwas ausrichten?«, erwiderte die Frau trocken und machte damit klar, dass sie die Bemerkung nicht auf sich bezog.
Pippa zog innerlich den Hut vor so viel Schlagfertigkeit. Meine Güte, diese Frau ist mir echt über, dachte sie. Und ich dachte, ich wäre durch die Wortgefechte mit Freddy auf alles vorbereitet.
Während Maik Wegner Pippas Gepäck im Kofferraum verstaute, nahm Gabriele Pallkötter wie selbstverständlich auf dem Beifahrersitz Platz.
»Wie reizend von Ihnen, mich mitzunehmen, Doktor Wegner«, flötete sie, als sie losfuhren. »So bleibt mir erspart, auf den Bus zu warten und …«
Pippa blendete die Unterhaltung der beiden aus. Sie schaute aus dem Seitenfenster und betrachtete die Landschaft, die bereits erste Anzeichen von Frühling ahnen ließ. Weitflächige Wiesen wechselten sich mit schnurgeraden Wassergräben und lichten Wäldern ab. Die Bäume rechts und links der Straße trugen schon den zartgrünen Schleier der ersten Blattknospen. Von Zeit zu Zeit passierten sie ein einsam gelegenes Gehöft oder durchfuhren ein gepflegtes Rundlingsdorf mit kaum mehr als einem Dutzend Häuser. Nur vereinzelt kamen ihnen Autos entgegen. Es hatte zu regnen aufgehört, und die Landschaft schimmerte wie frisch gewaschen.
Das ist also der Naturpark Drömling, dachte Pippa begeistert. Wann war ich zuletzt auf derart einsamen Straßen unterwegs? Welche Erholung nach den Wintermonaten im stets vollen Berlin.
Sie nahm sich vor, von Professor Meissner eine Wanderung durch den Drömling einzufordern – als Entschädigung für die Fahrt in Gesellschaft der unentwegt schwatzenden Frau Pallkötter.
»Haben Sie Herrn Bornwasser nach seinem Ableben noch mal gesehen?«, fragte diese gerade den jungen Arzt.
Wegner schüttelte den Kopf. »Nein.«
Gabriele Pallkötter sah ihn forschend an. »War er denn nicht Ihr Patient?«
»Doch, schon. Aber es bestand keine Notwendigkeit. Das war Sache der Polizei.«
Pippa schluckte, aber ihr Mund wurde trocken vor Schreck. Sie beugte sich nach vorn und fragte vorsichtig: »Polizei? Herr Bornwasser wurde doch nicht etwa ermordet?«
»Ermordet? Wie kommen Sie denn darauf?!« Gabriele Pallkötter verzog spöttisch den Mund. »Wir sind hier in der Altmark – nicht in Berlin. Hier passieren Unfälle, keine Morde. Sie lesen zu viele Kriminalromane, meine Gute.«
Nein, dachte Pippa, ich erlebe zu viele. Ich will nur sichergehen, dass es nie wieder vorkommt.
»Ich lebe seit zweiundsechzig Jahren auf unserem idyllischen Fleckchen Erde«, fuhr die Pallkötter fort, »und in der ganzen Zeit habe ich zwar von mehreren Unfällen mit Todesfolge gehört, aber von keinem einzigen Mord.« Sie machte eine dramatische Pause. »Bei Familie Lüttmann-Gerstenknecht sind Sie da übrigens in besten Händen. Die kennt sich mit
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