Ins Gras gebissen: Ein neuer Fall für Pippa Bolle (Ein Pippa-Bolle-Krimi) (German Edition)
– ist die Ausleihe gratis. Als Belohnung für jedes ausgeliehene Buch gibt es nicht nur einen Essensgutschein für die Ade-Bar, sondern obendrein eine verlängerte Mittagspause. Und Sie sehen: Man rennt mir buchstäblich die Bude ein.«
»Und das reicht Frau Gerstenknecht? Reger Zulauf?« Pippa schüttelte den Kopf. »Ich hätte ihr zugetraut, dass sie Stichproben macht, um zu kontrollieren, ob die Bücher wirklich gelesen wurden.«
»Sie meinen, sie lässt alle im Gutshaus antanzen und einen Test schreiben? Oder eine Zusammenfassung?« Timo Albrecht lachte amüsiert. »Oder besser noch Nacherzählungsverhöre.«
»Sie werden sie besser kennenlernen, wenn Sie länger hier sind, Pippa«, sagte Hilda Krause. »Christabel geht es darum, Anreize zu geben. Aber jeder ist seines eigenen Glückes Schmied. Sie will niemanden zu irgendetwas zwingen.«
Timo Albrecht fügte hinzu: »Ihre Philosophie ist: Wenn sich von zwanzig Ausleihern auch nur einer tatsächlich in die Seiten eines Buches verirrt und es liest, hat sich ihre Investition gelohnt.«
Dennoch, dachte Pippa, so viel Geld für die bloße Möglichkeit, dass jemand wirklich ein Buch liest …
Florian Wiek überreichte Timo Albrecht einen Satz Noten für Trompete, damit er sie für die Ausleihe erfassen konnte.
Da Pippa nah genug stand, bekam sie mit, was Florian sagte, obwohl er seine Stimme senkte. »Kannst du mir Literatur über Porzellan und berühmte Manufakturen besorgen, Timo? Meissner, KPM Berlin, Nymphenburg, Graf von Henneberg – alles, was du kriegen kannst. Ich brauche so viele Informationen wie möglich.«
Albrecht schrieb die Namen auf und nickte. »Spätestens nächsten Donnerstag bringe ich dir was mit. Wenn ich in Salzwedel nichts für dich finde, dann in einer anderen Bibliothek.«
Florian deutete mit einer Handbewegung an, dass Timo nicht so laut sprechen solle.
»Ich habe mich in Fabriken in Berlin und Sachsen für ein Praktikum als Glas- und Porzellanmaler beworben«, flüsterte er. »Sollte ich zu einem Gespräch eingeladen werden, will ich gut vorbereitet sein. Das könnte für mich das Sprungbrett zu einer Anstellung sein. Nach meiner Lehre möchte ich mal was anderes sehen als Störche und Gartenzwerge. Aber kann das bitte erst mal unter uns bleiben? Ich habe es sogar dem alten Heinrich verschwiegen, und dem erzähle ich so gut wie alles. Ich wollte ihn Christabel gegenüber nicht in Gewissensnöte bringen.«
»Wann sind denn die Prüfungen?«, fragte Timo Albrecht kaum hörbar.
»Mit den schriftlichen bin ich durch, fehlen nur noch die mündlichen. In einem Monat habe ich alles hinter mir – hoffe ich.«
»Ich halte dir die Daumen«, sagte Timo Albrecht und drückte freundschaftlich Florians Schulter.
Mich sollte wundern, wenn Christabel Gerstenknecht über deine Pläne glücklich ist, dachte Pippa, sie verliert dann ihren besten Porzellanmaler. Ich bin sicher, sie weiß gar nichts von diesen Bewerbungen.
Pippa warf einen Blick auf die Uhr und erschrak, als sie sah, wie viel Zeit seit ihrem Aufbruch aus dem Herrenhaus vergangen war. Als sie eilig den Bus verlassen wollte, musste sie warten, weil ein Mann hereindrängte. Er war um die fünfzig und machte den Eindruck, als würde er keinen großen Wert auf sein Äußeres legen. Seine Strickjacke hatte Löcher an den Ellbogen, und er hatte sich schon länger nicht mehr rasiert. Fahrig strich er sich die Haare aus dem hageren Gesicht, in dem Pippa tiefe, dunkle Augenringe auffielen.
»Julius Leneke! Ich werd verrückt!«, rief Timo Albrecht. »Seit wann bist du denn zurück?«
»Der alte Heinrich hat mich gestern Abend abgeholt«, erwiderte der Mann leise.
»Und? Hast du dir in Wiesbaden einen Kurschatten zugelegt?«
Leneke verzog das Gesicht. »Welche Frau würde sich für mich schon interessieren? Und selbst wenn, ich hätte sie ja doch zurücklassen müssen. Also habe ich es erst gar nicht versucht.«
Mit Leidensmiene legte er einen Stapel Bücher vor Timo Albrecht, die dieser einzeln aufschlug, um im Computer ihre Rückgabe einzupflegen. Seelischer Schmerz als Lebensinhalt , Praktische Übungen im Dauerversuch las Pippa ungläubig die Titel, außerdem Ich leide, also lebe ich und Bis dass der Tod uns scheidet: Mein Schicksal und ich als Weggefährten .
»Geht es dir denn jetzt wieder … gut?«, fragte Timo Albrecht vorsichtig.
Ein tiefer Seufzer entrang sich Julius Leneke. »Heinrich sagt, ja – dann wird es wohl so sein.«
Du meine Güte, dachte Pippa schaudernd,
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