Ins Gras gebissen: Ein neuer Fall für Pippa Bolle (Ein Pippa-Bolle-Krimi) (German Edition)
Gerstenknecht.
»Ich … Sie haben recht«, sagte Bartels kleinlaut. »Ich habe noch ein Anliegen …« Er räusperte sich krampfhaft, als brächte er das, was er zu sagen hatte, vor Verlegenheit kaum über die Lippen.
»Zieren Sie sich nicht so. Raus damit.«
»Also gut: Ich fürchte, auf Hollweg ist kein Verlass. Er nimmt meine neuen Entwürfe bei weitem nicht so ernst wie nötig. Er schenkt meinen Ideen nicht genug Aufmerksamkeit. Jetzt ist sogar ein Exemplar der neuen Muster in der Öffentlichkeit aufgetaucht, bevor wir es offiziell vorgestellt haben. Das ist ungeheuerlich.« Er schnaufte und fuhr mit erhobener Stimme fort: »Wieso besaß Frau Heslich diesen Zwerg? Wie eng war sie mit unserem Betriebsleiter befreundet? Eng genug, dass er ihr einen Zwerg vor der Veröffentlichung gezeigt hat? Das wäre Vertragsbruch. Ich frage mich: Was genau wusste Waltraut Heslich von unseren Plänen?«
»Das wird sie uns nicht mehr verraten können«, erwiderte Christabel Gerstenknecht trocken. »Dafür hat jemand gesorgt. Gründlich.«
Bartels zog scharf die Luft ein, dann stieß er hervor: »Glauben Sie, Hollweg ist die undichte Stelle und wollte eine Mitwisserin ausschalten?«
Christabel Gerstenknecht ging auf diese Frage nicht ein, sondern sagte laut: »Kommen Sie endlich herein, Pippa, und sagen Sie uns: Wäre das möglich?«
Mit hochrotem Kopf trat Pippa ins Wohnzimmer.
Die alte Dame ignorierte ihre Verlegenheit. »Nun? Was denken Sie?«
»Eine ziemlich gewagte These«, antwortete Pippa ausweichend. »Und eine ungeheure Anschuldigung.«
Sie musterte den aufgeregten Mann. Er war ihr nicht sympathisch, seine Empörung empfand sie als aufgesetzt. Auch er trug die dunkelblaue Kluft der Fabrikarbeiter, aber an ihm sah sie unpassend aus, wie die Demonstration einer Zugehörigkeit, die in Wirklichkeit nicht existierte.
»Es geht immerhin um den Verrat von Werksgeheimnissen!«, rief Bartels pathetisch aus.
»Es geht um Mord an einem Menschen«, sagte Pippa, » immerhin .«
»Über Hollweg brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen, Pippa. Wir werden von ihm die gleichen Überlegungen hören – nur wird dann Bartels der Verräter sein.« Mit der Andeutung eines Lächelns schüttelte Christabel Gerstenknecht den Kopf. »Von Ihnen möchte ich nur wissen, ob Sie eine Verbindung zwischen Lüttmanns Lütte Lüd und diesen mysteriösen Todesfällen für möglich halten.«
Pippa rang mit sich. Sollte sie ihre Meinung kundtun oder lieber für sich behalten?
»Wenn sich in einem kleinen Ort innerhalb kürzester Zeit zwei ungewöhnliche Todesfälle ereignen und jeder in der Gegend auf die eine oder andere Weise etwas mit derselben Firma zu tun hat, dann ist eine Verbindung nicht völlig auszuschließen«, sagte sie schließlich.
Christabel Gerstenknecht gackerte amüsiert. »Was ist los mit Ihnen, Pippa? Sind Sie vom Haushüten in den diplomatischen Dienst gewechselt? Sagen Sie mir, was Sie wirklich denken!«
Pippa fing einen Blick von Bartels auf: Er starrte sie offenen Mundes an. Du bist nicht gewöhnt, dass Christabel jemanden nach seiner Meinung fragt, stimmt’s?, dachte Pippa.
Sie grinste. »Ich kann es auch anders ausdrücken, Frau Gerstenknecht. Die Polizei ist hier und befragt das halbe Dorf – also ist sie der gleichen Ansicht wie ich: Jeder ist verdächtig.«
Christabel Gerstenknecht kicherte – wie stets, wenn jemand den Mumm hatte, frei vor ihr zu sprechen. Dann sagte sie: »Genau, und deshalb sollten wir alles dafür tun, der Polizei zu helfen. Holen Sie meinen grünen Hut und die passenden Ziegenlederhandschuhe. Und nennen Sie mich verdammt noch mal Christabel. Wir sind jetzt ein Team.«
Mit Hilfe von Vitus Lohmeyer und des zweiten Mannes bestieg Christabel Gerstenknecht die Sänfte. Die beiden Männer ergriffen die Holme und marschierten los. Wie Pippa erwartet hatte, half Bartels nicht. Er ging links von der Sänfte, sie selbst auf der rechten Seite.
»Sie können jetzt aufhören, so zu tun, als würden Sie sich nicht wundern, Pippa«, sagte Christabel Gerstenknecht. »Das Privileg, in einer Sänfte getragen zu werden, verdanke ich Vitus Lohmeyer. Er ist in jeder Hinsicht kreativ, was ich sehr an ihm schätze. Als er mitbekam, wie ich es hasse, mit dem Rollstuhl über unser Kopfsteinpflaster zu holpern, kam er auf die Idee, mir mit einer Sänfte den täglichen Weg in die Manufaktur zu erleichtern. Dort behelfe ich mich dann mit meinen Vierfüßlern weiter, die an strategischen Stellen deponiert sind.
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