Ins Gras gebissen: Ein neuer Fall für Pippa Bolle (Ein Pippa-Bolle-Krimi) (German Edition)
nur zu gern betreten hätte. Wieder sah sie sich um, ob sie noch immer unbeobachtet war. Dann legte sie wie zufällig die Hand auf die Haustürklinke. Mit dem Öffnen der Tür bestätigte sich, dass in Storchwinkel kaum jemand sein Haus absperrte.
Wenn man mich schon so nett hereinbittet, dachte Pippa, schlüpfte hinein und schloss rasch die Tür.
Alles war penibel aufgeräumt, nichts lag herum. Zwei Stockschirme standen in einem schmiedeeisernen Ständer neben der Garderobe, ein Mantel hing ordentlich auf einem Bügel, der hell geflieste Boden wirkte wie frisch gewischt. Makellose Sauberkeit, wohin sie auch blickte.
Nichts, nicht einmal Fußspuren, dachte Pippa mit wachsender Verwunderung, und das bei dem Schmuddelwetter der letzten Zeit. Merkwürdig, wo doch die Polizei vor zwei Tagen durchs Haus getrampelt ist. Die werden wohl kaum eine Putzkolonne geschickt haben, um sauberzumachen; das hier ist schließlich kein Tatort.
Ihr Instinkt sagte ihr, dass etwas nicht stimmte, aber ihre Neugier trieb sie ins Wohnzimmer. Die Bücherregale fremder Wohnungen zogen sie stets magisch an, denn sie war sicher, durch die Auswahl der Literatur eine Menge über den Besitzer zu erfahren. Entdeckte sie eines ihrer Lieblingsbücher, hatte die Person bei ihr sofort einen Stein im Brett – und wäre er oder sie Pippa zuvor auch noch so unsympathisch gewesen.
Im Wohnzimmer standen zwei schlichte schwarze Regale. Das erste war Fachliteratur vorbehalten: dicke Wälzer über Krankheiten – auch der Pschyrembel fehlte nicht – und ärztliche Ausbildung, reihenweise Bücher über Gynäkologie und die Arbeit von Hebammen. Die Inspektion des zweiten Regals zeigte Arztromane, so weit das Auge reichte. Auf einem Bord in Augenhöhe stand ein gerahmtes Bild: Waltraut Heslich in der Tracht einer Oberschwester, wie sie, offenbar am Tag ihrer Pensionierung, mit verkniffenem Gesichtsausdruck von einem silberhaarigen Mann eine Urkunde und einen Blumenstrauß entgegennahm.
Sie hat ihren Beruf wirklich geliebt, dachte Pippa, und ist nicht gern in den Ruhestand gegangen.
Sie fuhr herum, als eine Tür klappte. Jemand war von hinten ins Haus gekommen! Hektisch suchte Pippa nach einem Versteck. Sie hechtete in letzter Sekunde hinter das Sofa und hielt die Luft an. Insgeheim pries sie den hochflorigen Teppich, der sie hoffentlich vor blauen Flecken an Knien und Ellbogen bewahrt hatte. Sie presste sich flach auf den Boden und spähte unter dem Sofa hindurch. Eine Frau – Pippa sah lediglich Unterschenkel in Nylonstrümpfen und robuste Pumps mit Blockabsätzen – stand auf der Türschwelle zu einem benachbarten Raum. An ihrem rechten Schuh klebten Grashalme.
Mist, dachte Pippa, wer einen Garten hat, hat auch eine Hintertür! Und diese Schuhe kenne ich, die repräsentieren die Vereinigten Jugendämter des Storchendreiecks. Nicht auszudenken, wenn die Palle mich hier erwischt!
Die Frau beugte sich herunter, um die Schuhe abzustreifen, schaute aber zu Pippas Erleichterung nicht in ihre Richtung. Dennoch bestätigte sich, was Pippa bereits vermutet hatte: Es war Gabriele Pallkötter, die jetzt auf Strümpfen den Raum durchquerte und außer Sicht geriet. Das schabende Geräusch einer Schublade, die sich dem Öffnen widersetzte, war zu hören. Gleich darauf klimperte es, und die Lade wurde mit einem energischen Ruck wieder geschlossen. Gabriele Pallkötter erschien in Pippas Blickfeld, schlüpfte wieder in ihre Schuhe und verließ den Raum. Sekunden später fiel die Haustür hinter ihr ins Schloss, und ein Schlüssel drehte sich.
Pippa fluchte verhalten. Als Freundin von Waltraut Heslich besaß die Pallkötter natürlich einen Schlüssel, um im Haus nach dem Rechten zu sehen und die Blumen zu gießen. Nichts anderes hatte sie vermutlich gerade gemacht, als Pippa ihr beinahe in die Arme gelaufen war. Von wegen offene Häuser!
Pippa blieb noch einige Minuten zusammengekauert auf dem Fußboden sitzen, falls Gabriele Pallkötter auf die Idee kam, noch einmal durch das Fenster hineinzusehen. Dann schlich sie geduckt hinüber zum Sideboard, um herauszufinden, welche der Schubladen Gabriele Pallkötter geöffnet hatte. Gleich die erste links oben klemmte. Sicherheitshalber probierte Pippa die anderen ebenfalls aus, aber sie glitten alle geräuschlos auf und zu.
Die erste Lade war mit Papieren vollgestopft. Obenauf lagen eine Broschüre des Storchenkrugs sowie ein Autoschlüssel. Pippa nahm die Broschüre heraus, die sich wie ein Verkaufsexposé las: Die
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