Ins Gras gebissen: Ein neuer Fall für Pippa Bolle (Ein Pippa-Bolle-Krimi) (German Edition)
Komponisten in Ihrem CD-Regal und die Londoner Symphonien …«
Sie brach ab, als Christabel den Kopf schüttelte. »Meine Mutter war Deutsche. Sie war noch sehr jung, als sie beim hiesigen Landadel in Stellung ging. Schon kurz darauf wurde sie schwanger, sozusagen ohne bekennenden Vater. Ich muss Ihnen nicht erklären, warum das so war. Ein ganz altes und doch immer wieder neues Lied. Nur heute nicht mehr ganz so tragisch für die junge Mutter.«
Pippa nickte stumm.
»Die Eltern des betreffenden Junkers taten alles, um ihren Sohn aus einem Skandal herauszuhalten. Sie reichten meine Mutter in eine befreundete englisch-deutsche Familie weiter, die ihnen noch einen Gefallen schuldig war«, fuhr Christabel fort. »Immerhin, meiner Mutter gefiel es in England sehr gut. Sie fasste Fuß, schloss sich den Suffragetten an und erzog mich entsprechend. Ich lernte, dass ich mit Rückgrat, Hirn und einem Mund zum Äußern meiner Meinung ausgestattet war. Sie bestärkte mich darin, dies niemals zu vergessen und stets für mich und für andere, Schwächere, einzutreten. Die Frauen, die ich damals um mich hatte, waren in dieser Hinsicht gute Vorbilder.«
»Christabel Pankhurst! Die berühmte Frauenrechtlerin. Sie sind nach Christabel Pankhurst benannt!«, entfuhr es Pippa. »Ich habe mich von Anfang an über Ihren außergewöhnlichen Vornamen gewundert. Kannten Sie sie etwa persönlich?«
»Das wäre dann Frage Nummer vier, aber ich will mal nicht so sein.« Christabel lächelte über Pippas Aufregung. »Ja, auch sie hat mich auf dem Arm gehabt. Aber meine Erinnerungen sind eher Gefühle als echte Bilder. Ich war noch ein Winzling, als meine Mutter mich zu ihren Versammlungen mitgenommen hat. Leider brach dann der Erste Weltkrieg aus, und wir kehrten nach Deutschland zurück.«
»Perfektes Futter für Herrn Brusche. Mit entsprechenden Ausschmückungen natürlich.«
»Unser ungestümer Reporter wird mich mit großen Augen ansehen, wenn er den Namen Pankhurst hört, und nicht den Hauch einer Ahnung haben, von wem ich rede.« Die alte Dame kicherte.
»Tja, Recherche ist die Mutter des guten Journalismus! Dann kann er mal den Beweis antreten, dass es ihm damit ernst ist«, sagte Pippa. »Christabel Pankhurst und ihre Mitstreiterinnen waren ihrer Zeit weit voraus. Und Sie und Ihre Mutter mittendrin. Im Kampf für das Wahlrecht der Frauen! Das ist irre interessant. Jedenfalls für mich.«
»Deshalb mag ich Lawrence. Er gesteht uns Frauen die gleichen Rechte zu wie den Männern.« Christabel deutete auf das Buch auf dem Bett. »Dass er – ein Mann – diese Geschichte geschrieben hat, verblüfft mich immer wieder. Ein Mann mit viel Gefühl. Selbst heute noch selten.«
»Deshalb kennen Sie es auswendig.«
Christabel schüttelte lachend den Kopf. »Kein Grund, beeindruckt zu sein – ich kann nur den ersten Abschnitt. Er enthält meine gesamte Lebensphilosophie, und er verspricht obendrein, dass dieses Buch uns zeigt, wie sie praktisch angewendet wird.«
»Es geht Ihnen also gar nicht um die Erotik?«
»Doch, selbstverständlich, das auch. Für Krieg und Frieden habe ich schließlich Storchwinkel.« Sie lachte fröhlich.
Pippa ließ sich anstecken und lachte mit. »Jetzt bin ich neugierig: Was haben Sie zuletzt mit Melitta Wiek gelesen?«
»Marcel Proust: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit . Aber damit können wir jetzt aufhören, denke ich. Ich bin mir sicher, sie wird sie im Urlaub finden. Aber jetzt bestehe ich darauf, dass Sie von sich erzählen, meine Liebe.«
»Gerne. Seit ich vor zwei Jahren aus Florenz zurückgekehrt bin, wohne ich wieder in Berlin. Ich lebe in Scheidung und vermisse Italien – aber keineswegs den Mann.«
»Ihr Vorname ist auch nicht gerade alltäglich, Pippa.«
»Meine Familie liebt Doppelkonsonanten: Mein Bruder heißt Freddy, meine Mutter Effie, meine Großmutter Hetty. Papa behauptet, Ma habe ihn nur geheiratet, um auch in ihrem Nachnamen endlich einen Doppelkonsonanten zu …«
Das Klingeln des Telefons neben Christabels Bett unterbrach sie. Die alte Dame zögerte, hob dann aber ab. Sie lauschte einen Moment und sagte: »Danke, Florian, das freut mich. Grüß deine Mutter von mir, wenn sie wieder anruft. Sag ihr, sie soll sich keine Sorgen machen, es ist alles in bester Ordnung.« Wieder hörte sie zu und antwortete dann: »Du meine Güte, Florian, das musst du sie wirklich selber fragen.«
Sie hielt Pippa den Hörer hin. Diese sah sie erstaunt an, aber Christabel zuckte mit den
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