Ins Leben zurückgerufen
von Türen zu hören. Der Schaffner lehnte sich aus dem Zug und fragte: »Kommen Sie nun oder nicht, Mr. Mostell?«
Dalziel stieg in den Zug. Es wäre zwar gut gewesen, noch etwas länger mit Thatcher zu reden, aber er hatte das Gefühl, es sei wichtig, in Williamsburg zu sein.
»Mr. Mostell?« fragte Thatcher.
»Ein Scherz. Ihr Land ist voll von Scherzbolden.«
»Möglich. Aber aus Scherz kann Ernst werden. Passen Sie auf, Andy. Männer wie Rampling haben lange Arme und scharfe Zähne.«
»Dann sollte ich wohl ein paar Bananen kaufen«, entgegnete Dalziel.
Der Zug setzte sich in Bewegung. Thatcher ging am Bahnsteig entlang.
»Ich kann Ihnen das hier genausogut geben«, sagte er und reichte ihm die Blätter durchs Fenster, die er in der Hand hielt. »Alles über Waggs. Über Kohler ist absolut nichts aufzutreiben.«
»Danke«, sagte Dalziel. »Sie haben nicht gefragt, was ich in diesem Zug mache.«
»Was ich nicht weiß, kann man mir nicht vorwerfen, vorenthalten zu haben«, erwiderte Thatcher lächelnd. »Rufen Sie mich an, wenn Sie einen Dolmetscher brauchen. Tschüs!«
Während der Zug immer schneller wurde, kehrte Dalziel, in Gedanken vertieft, zu seinem Sitzplatz zurück. Er hatte das ihm unbekannte Gefühl, daß die Dinge außer Kontrolle gerieten. Er hatte über Thatchers Warnung gelacht, doch nun, da er immer tiefer in dieses seltsame Riesenland glitt, war es immer weniger zum Lachen. In Yorkshire war es eine alltägliche Sache für einen alten weißen Jäger, den Löwen in ihren Höhlen zu trotzen. Doch hier war er eigentlich nicht viel mehr als ein alter, dicker Tourist, der bis zu anderthalb Millionen Dollar krankenversichert war, was bei einem guten Tritt wahrscheinlich an einem langen Wochenende draufgehen würde.
»Fahrkarte, Sir«, drang dröhnend eine Stimme an sein Ohr.
»Was? Entschuldigung. Ich war meilenweit weg.«
»Dafür bezahlen Sie«, sagte der Schaffner bei der Kontrolle des Fahrscheins. »Sie müssen bei Kräften bleiben. Der Speisewagen ist drei Wagen weiter hinten.«
»Hoffentlich taugt das Essen mehr als die Witze«, sagte Dalziel beim Aufstehen.
Es war in der Tat besser. Er bestellte sich zwei riesige Sandwiches und dazu einen Bourbon. Der war zwar nicht die Creme des schottischen Hochlands, aber eine Gänsehaut bekamen die Zähne durchaus davon.
Nachdem sein Körper zu seinem Recht gekommen war, wandte Dalziel seine Aufmerksamkeit den Unterlagen zu, die Thatcher ihm gegeben hatte.
Ein kurzes Überfliegen zeigte ihm, daß er hier die Computerfassung vom Leben und Leiden des Jay Waggs vor sich hatte. Oder vielmehr, einer ganzen Familie von Computern. Einer von Thatchers Kumpeln mußte alle Datenbanken angezapft haben, die den Weg des modernen Pilgers verewigen. Steuer, Gesundheit, Ausbildung, Kreditwürdigkeit, polizeiliche Führung. Gott weiß, was sonst noch. Auf den ersten Blick ergab es ein vollständiges Bild. Doch bei näherem Hinsehen entdeckte man, was Thatcher auf dem Bahnsteig aufgefallen sein mußte: In keiner der wohlinformierten Datenbanken war Waggs’ letzte bekannte Adresse verzeichnet. Um ihn auf diese Spur zu setzen, hatte es Linda Steeles bedurft, wahrscheinlich auf Veranlassung Scott Ramplings.
Er verschob es, über dessen Motive zu spekulieren, und konzentrierte sich auf Waggs’ Leben. Als erstes fiel ihm auf, daß Waggs zwei Namen benutzte, allerdings nicht unbedingt zu kriminellen Zwecken. 1957 geboren, war er John getauft worden und der einzige Sohn von Mr. und Mrs. Paul Petersen aus New York gewesen. Mit sechs war er verwaist und von da ab von seiner Tante Mrs. Tess Heffernan großgezogen worden.
Mrs. Heffernan ließ sich zwei Jahre später scheiden (Ursache und Wirkung? fragte sich Dalziel) und heiratete 1966 John Waggs aus Ann Arbor, Michigan. Das Ehepaar adoptierte den Sohn, was die Namensänderung zu Waggs zur Folge hatte, und es war vermutlich auch seit jener Zeit, daß man ihn Jay nannte, um ihn von seinem Adoptivvater zu unterscheiden. Sein aktenkundiges Leben verlief nun reibungslos, bis er Student wurde. Er schrieb sich unter seinem früheren Namen Petersen für ein Betriebswirtschaftsstudium ein, wechselte nach kurzer Zeit das Fach und studierte Filmregie, blieb eine ganze Weile dabei und beendete dann seine Ausbildung mit einem kurzen Auftritt in einer Schauspielschule. Mit diesen unterschiedlichen Erfahrungen gewappnet, aber ohne offizielle Abschlüsse, warf er sich in die Arme der Unterhaltungsbranche. Bereit, alles zu sein,
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