Ins Leben zurückgerufen
die Marsh. Lächelnd, mit nassem Mund. Ich habe ihr eine Ohrfeige gegeben. Blut aus ihrer Nase spritzte über meine Hand. Ich rannte zurück in mein Zimmer und wusch mir die Hände.
»Und Jesus weinte«, murmelte Dalziel. Tommy Partridge, nun der höchst ehrenwerte Thomas Partridge, Parlamentsmitglied, Staatssekretär im Innenministerium, damals der zwölfjährige Sohn und Erbe von Thomas Partridge senior, Parlamentsmitglied, Staatssekretär im Kriegsministerium. Hatte Kohler damals ihre Geschichte jemandem erzählt? Mit Sicherheit nicht Tallantire. Wally wurde zum Tier, wenn sich jemand an Kindern vergriff. Der Tod der kleinen Emily Westropp hatte jede Sympathie erstickt, die er für die Kohler gehabt haben mochte. Doch wenn sie ihm von der Marsh berichtet hätte, wäre er aus einer solchen Höhe auf die schottische Kinderfrau gesprungen, daß sie ein neues Tartanmuster abgegeben hätte.
Stockend las er weiter.
Ich saß betäubt auf meinem Bett. Ich weiß nicht, wie lange. Die Stalluhr, die anfing Mitternacht zu schlagen, brachte mich wieder zu mir. Ich mußte mit jemandem sprechen. Rannte die Nebentreppe zum Gästekorridor hinunter. Ich weiß nicht, warum, aber mir kam es so vor, daß es wichtig sei, dort anzukommen, bevor die Stalluhr zu schlagen aufhörte. Kam bei der Waffenkammer um die Ecke an, als der letzte Schlag ertönte. Die Tür ging auf, und Mick kam heraus. Er sah schrecklich aus. Seine Kleidung war in Unordnung, der Schock stand ihm ins Gesicht geschrieben, bis er mich sah. Gott sei Dank, daß Sie das sind, sagte er, etwas Schreckliches ist passiert. Ich versuchte, an ihm vorbeizugehen, er hielt mich fest, doch ich konnte sie sehen. Pam, blutüberströmt.
Jemand setzte sich neben ihn. Überrascht und irritiert sah er hoch. In dem Wagen war genug Platz, es war nicht nötig, sich neben den dicksten Hintern zu quetschen, der unterwegs war. Seine Irritation verwandelte sich in Überraschung und Mißtrauen, als er den Mann neben sich erkannte. Gepflegt und mit einem eleganten grauen Anzug angetan, war er ohne jeden Zweifel der junge Mann aus dem Hotel, der ihn überfallen hatte und der so leicht der Polizei entkommen war.
Bevor er ein Wort sagen konnte, fühlte er eine Hand auf der Schulter, und eine bekannte Stimme sagte: »Hi, Andy, du willst mir wohl davonlaufen?«
Er drehte sich um und sah Linda Steele, die sich hinter ihm über den Sitz lehnte. Gleichzeitig fühlte er, wie ihm die Bibel aus der Hand gezogen wurde, und schon war der junge Dieb auf den Füßen und lief rasch den Gang hinunter. Als Dalziel sich erhob, um ihn zu verfolgen, setzte sich Linda Steele auf den leeren Platz neben ihm und versperrte ihm mit ihrem geschmeidigen Körper den Weg.
»Warum?« fragte sie. »Es lohnt sich nicht, glaub mir.«
Er sah, wie der graue Anzug im nächsten Wagen verschwand, und gab nach. Es war sowieso anstrengende Arbeit, diese Punkte zu übertragen, und was er gelesen hatte, hatte ihm nicht besonders gut gefallen.
»Das nächste Mal, wenn der Mistkerl in Reichweite kommt, brech ich ihm erst die Knochen, und stell die Fragen hinterher. Du bist also auch mit von der Partie. Hab noch nie mit einem komischen Hengst gepennt, nicht daß ich wüßte. Wenn du Aufnahmen gemacht hast, schickst du mir ein paar Abzüge?«
Sie lachte fröhlich, wurde dann ernst und sagte: »Andy, ich geh nicht mit jedem ins Bett. Gehört nicht zu meiner Arbeitsplatzbeschreibung. Ich habe mich wirklich in dich verknallt.«
»Du brauchst keine Angst um mein Ego zu haben, Schätzchen. Arbeit und Vergnügen zu mischen ist kein Fehler. Seit die Welt begann, hat es keinen Fick gegeben, für den man nicht auf die eine oder andere Weise bezahlen mußte.«
Sie musterte sein Gesicht von so nah, daß er ihren warmen Atem spüren konnte.
»Ich hab dir doch weh getan.«
»Von diesen Schmerzen kann ich eine gute Portion aushalten. Wenn, dann bin ich froh, daß man mich wenigstens nicht beschuldigen kann, eine Reporterin flachgelegt zu haben. Das würde meinem Ruf daheim wirklich zusetzen.«
»Es tut mir so leid, daß ich dich enttäuscht habe, Andy, aber ich bin wirklich Journalistin. Es ist nur zufällig so, daß ich auch für den Staat arbeite.«
»Ach, es ist der Staat, was? Das sind die Mistkerle, die mir Leute auf den Hals schicken, die mich berauben? Mich bedrohen? Mein Gepäck durchsuchen? Ich habe immer gedacht, daß die Leute nach Amerika kämen, weil sie die Orte hinter sich lassen wollten, wo die Beamten sie beraubten und
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