Ins Leben zurückgerufen
zwölf. Pst!«
D alziel reiste gern mit dem Zug, besonders wenn die Alternative gewesen wäre, auf der falschen Seite von Straßen zu fahren, auf denen sich mehr Wahnsinnige herumtrieben als in den Fluren von Bedlam. Die junge Frau hatte ihn überreden wollen, zu einem durchaus annehmbaren Tarif ein Auto zu mieten, denn New York sei einzigartig, und auf der Durchgangsstraße wäre alles ganz anders. Aber Dalziel hatte die Ohren gespitzt, das Röhren der Seventh Avenue vernommen und gesagt: »Ich schlürfe lieber mein Bier mit Limo.«
Sie reservierte ihm einen Sitzplatz in einem Transportmittel, das der Colonial Train hieß und ein Zimmer in einem Hotel mit dem Namen Plantage, was ihm ein wenig zu folkloristisch klang, um komfortabel zu sein. Er war auch nicht sonderlich beeindruckt, als sie ihm versicherte, das Hotel liege genau in dieser historischen Gegend, vor der sie solche Ehrfurcht hatte. Doch er tröstete sich mit dem Gedanken, daß in diesem Land »historisch« wahrscheinlich bedeutete, daß etwas vor dem Koreakrieg erbaut worden war.
Er hinterließ eine Nachricht an der Rezeption für Linda, in der er ihr sein Reiseziel mitteilte. Er ging davon aus, daß sie Feuer speien würde, wenn er sie zum Mittagessen versetzte, und ein bißchen Scheckbuch-Journalismus würde die Zunge der jungen Frau am Reisebüroschalter sowieso schnell lösen, deshalb konnte er ebensogut die Wahrheit sagen und nach wie vor ein Kandidat ihrer Gunst und auf ihrer Spesenliste bleiben (hoffte er).
Nachdem er sich entschlossen hatte, in den Süden zu fahren, veranlaßte ihn berufliche Höflichkeit, die Polizei aufzusuchen, falls man ihn in Zusammenhang mit dem Mann brauchte, den er in seinem Hotelzimmer gefaßt hatte.
Es war, als wäre er in eine Fernsehserie geplatzt. Er mußte in einem Raum Platz nehmen, der so gedrängt voll war wie der Schwarze Bulle an einem Samstagabend. Der diensttuende Kripobeamte schaffte es, völlig locker zu sein und so auszusehen, als wäre ihm alles zu viel. Nachdem er ein paar Unterlagen durchgesehen hatte, sagte er zu Dalziel. »Alles in Ordnung, Sie werden nicht benötigt.«
»Jetzt? Oder nie?« fragte Dalziel.
»Oder nie«, erwiderte der andere lakonisch.
»Man macht sich hier bei Prozessen also nicht die Mühe mit den ganzen Zeugen?« fragte Dalziel mit echtem Interesse an dem höchst wünschenswerten Verfahren.
»Quatsch, der Prozeß hat schon stattgefunden. Nachtgericht, ein Jahr Bewährung. Der Typ ist schon längst über alle Berge.«
»Versuchter Überfall? Ein Jahr ausgesetzt? Was für ein Glück, daß er ein Schießeisen dabeihatte, sonst hättet ihr ihm wahrscheinlich noch ein Tagesgeld zahlen müssen«, sagte Dalziel sarkastisch.
»Sein Anwalt hat einen Vergleich abgeschlossen. Er hat behauptet, sein Mandant sei versehentlich in Ihr Zimmer geraten und habe dann die Panik gekriegt. Er war im Besitz eines Waffenscheins und nicht vorbestraft. Hören Sie, Mr. Dalziel, bei dem Anwalt, den der Kerl hatte, können Sie sich glücklich schätzen, daß er Sie nicht wegen versuchter Körperverletzung verklagt hat.«
»Dieser Rechtsverdreher, ich meine, Anwalt. Hat das Gericht ihn bestellt?«
»Nein, er kam angerannt. Wahrscheinlich kam der Junge aus einer reichen Familie. Wir sind hier so demokratisch, daß man einen Punk schon längst nicht mehr an seiner Kleidung erkennt.«
Dalziel ging, zutiefst unzufrieden mit sich. Wenn er auch nur geahnt hätte, daß der Scheißkerl ohne Strafe davonkommen würde, hätte er kräftiger zugelangt. Vielleicht wurde das Leben ja normaler, wenn er erst einmal New York verlassen hatte.
Als er im Bahnhof Pennsylvania Station ankam, war er zwar beglückt, daß weit und breit keine Pferde zu sehen waren, war aber ziemlich enttäuscht, daß der Colonial seinen Namen Lügen strafte und mit den riesigen Lokomotiven, an die er sich aus den Western seiner Kindheit erinnerte, nichts gemein hatte. Doch Hollywood verschaffte sich dann doch noch Geltung, als ein behäbiger schwarzer Schaffner in der Tür über ihm erschien und ihm mit der ungezwungen Kameradschaft unter Beleibten anbot: »Nun lassen Sie mich Ihnen helfen, Mr. Mostell. Ich freue mich, Sie zu sehen! Man hatte mir erzählt, daß Sie tot seien.«
Dalziel, durch die Ähnlichkeit des Namens verwirrt, stand auf der Leitung.
»Haben Sie ein Problem, mein Lieber?« fragte er.
»Verzeihen Sie, wollen Sie etwa sagen, daß Sie nicht Zero Mostell sind?« erwiderte der Schaffner mit vorgetäuschter Verlegenheit.
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