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Ins Leben zurückgerufen

Ins Leben zurückgerufen

Titel: Ins Leben zurückgerufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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das Ganze überhaupt möglich geworden, Mr. Dalziel. Aber der wahre Grund, warum es funktionierte, war nicht Cissys Verrücktheit, sondern Ihr Mr. Tallantire, der so wild entschlossen war, alles Mickledore anzuhängen, und Ihr Mr. Sempernel, dem es scheißegal war, wem die Schuld in die Schuhe geschoben wurde, solange es nicht Seine Durchlaucht James Westropp traf.«
    Aus seiner Leidenschaft und seinem Nachdruck sprach Überzeugung. Oder konnte es der Wunsch nach Überzeugung sein? Vielleicht muß er es in Stein gemeißelt vor sich sehen, dachte Dalziel, genau wie ich, bevor ich glaube, daß man Wally an der Nase herumgeführt hat.
    »Sie vermuten also, die Nachricht, daß Westropp im Sterben liege, habe sie dazu bewogen, Straferlaß zu beantragen? Na, wenn ich eines nicht verpassen will, dann dieses Wiedersehen.«
    »Das werden Sie aber«, sagte Waggs. »Es ist eine reine Familienangelegenheit, Mr. Dalziel. Sie würden alles nur noch viel komplizierter machen. Warum bleiben Sie nicht einfach hier?«
    Er hatte einen Revolver gezogen. Ungläubig starrte Dalziel auf die Waffe.
    »Du Vollidiot! Da fühle ich mich wie ein Engel, weil ich dir nicht Gleiches mit Gleichem vergolten habe, und nun bleibt mir doch nichts anderes übrig.«
    In seiner Verwirrung glich Waggs dem Mann, der aus dem Kino wußte, daß es immer der mit der Knarre ist, der mit den Drohungen um sich schmeißt.
    »Ab ins Badezimmer«, sagte er.
    »Aber nicht doch, mein Junge«, erwiderte Dalziel freundlich. »Revolver haben nur dann einen Sinn, wenn man sie auch benutzen will. Vermutlich steckt aber nicht mehr Bereitschaft zu schwerer Körperverletzung in dir, als du gestern morgen gezeigt hast, als du mir eine über die Rübe gegeben hast. Nicht dein Stil. So ein schlaues Bürschchen wie du gebraucht sein Mundwerk, wenn es in der Klemme steckt. Deshalb, Schuster bleib bei deinen Leisten.«
    Behutsam ging er auf Waggs zu, der das Schießeisen locker in der Hand hielt und schließlich sagte: »Okay, Dalziel, Sie haben recht, reden wir. Ich verlange ja nur …«
    Dalziel versetzte ihm einen Schlag in den Magen, fing den Revolver auf und trat einen Schritt zur Seite, als Waggs der Waffe auf den Boden folgte.
    »Ich bin von Natur aus ein gewalttätiger Mensch«, sagte Dalziel. »Ich kann mich den ganzen Tag prügeln.«
    Er schleppte den würgenden Waggs ins Badezimmer, umfaßte mit beiden Händen den Türknauf, stemmte den linken Fuß gegen die Tür und zog.
    Nach leichtem Widerstand gab die Schraube nach. Er zog an dem Vierkant, bis er auf den Schlafzimmerboden fiel, verließ das Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu.
    Er machte den Fernseher an. Der war auf einen Lokalsender eingestellt. Man berichtete über den Besuch eines asiatischen Politikers, den man zur Auflockerung seines offiziellen Terminkalenders in einem alten Gasthof in Williamsburg einquartiert hatte. Die Kamera folgte den Straßen des historischen Stadtteils. Sie sahen ganz anders aus, als Dalziel sie nach seinem erstem Eindruck in Erinnerung hatte; breit und licht, von wohlproportionierten Gebäuden flankiert und einem goldenen Sonnenlicht durchflutet, das aus einem weniger hektischen Zeitalter zu stammen schien. Selbst die flanierenden Touristen sahen aus wie echte Zeitreisende auf der Suche nach der Geschichte, die man in ihren Städten mit Beton bedeckt hatte.
    Mit leichtem Schrecken gestand er sich ein, daß es auch seine Geschichte war.
    Er machte sich auf, um zu sehen, was er hinzufügen konnte.

Drei
    »Ich gehe hin, um seinen Geist zu sehen! Es wird sein Geist sein, nicht er.«
    E s klingelte an der Tür. Seit 1741, seit das erste Haus an dieser Stelle erbaut worden war, klingelte dieselbe Türglocke. Ihr blecherner Klang hatte sich so tief in Marilou Bellmains Bewußtsein eingeprägt, daß man beinahe von einer genetischen Erinnerung sprechen konnte. Einmal, sie war noch mit Arthur Stamper verheiratet, hatte sie den Widerhall dieses Klangs gehört, als der Wind den Schmuck am großen Weihnachtsbaum in Sheffield zum Klingen brachte. Das war der Moment gewesen, als ihr bewußt wurde, daß sie ihn verlassen würde.
    Vor der Außentür des Eingangs stand eine junge Schwarze in Shorts und T-Shirt, und Marilou wollte gerade zu ihrer kleinen Rede ansetzen und die junge Frau höflich, aber bestimmt darauf aufmerksam machen, daß sie sich nicht mehr im öffentlichen Bereich des kolonialen Williamsburg befinde, als diese sie ansprach. »Mrs. Bellmain? Hallo! Ich heiße Linda

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