Ins Leben zurückgerufen
Steele. Dürfte ich wohl auf ein Wort zu Ihrem Mann?«
Mit Sicherheit hätte sie nein gesagt, wenn James sie nicht so nachdrücklich darum gebeten hätte, heute alle Besucher einzulassen. Aber das bedeutete noch lange nicht, daß jeder Versicherungsvertreter oder religiöse Spinner in ihr Haus durfte. »Worum geht es, Miss Steele?«
»Nur ein Besuch. Wir haben gemeinsame Freunde in Wa-shington, die mich baten, auf jeden Fall bei James vorbeizuschauen.«
»Wer ist da, Liebes?« rief Westropp aus dem Wohnzimmer.
Er traute ihr nicht. Sie nahm es ihm nicht übel. Er hatte völlig recht. Sie hätte ein Schild »Sind zum Angeln« an die Tür gehängt, wenn er sie gelassen hätte.
»Treten Sie ein.«
Interessiert betrachtete Westropp die lächelnde junge Frau.
»Entschuldigen Sie, daß ich nicht aufstehe«, sagte er aus seinem alten Hickory-Schaukelstuhl, durch den er die Freude an der Bewegung genießen konnte, ohne sich anstrengen zu müssen. »Aber ich muß mit meinen Kräften haushalten.«
»Hallo«, sagte die Frau. »Ich bin Linda Steele. Scott Rampling schickt mich.«
»Ich verstehe. Marilou, könntest du uns vielleicht Kaffee machen?«
Widerwillig entfernte sich seine Frau.
»Ich habe Scott erst vorgestern gesehen. Sie hat er nicht erwähnt, Miss Steele.«
Neugierig sah sie ihn an. Warum das ganze Theater veranstaltet wurde, wußte sie nicht, aber endlich sah sie, um wen es dabei ging. Dieser Mann mit seiner klaren englischen Stimme und dem höflich-belustigten Ton besaß noch genug Charme, daß sie sich mit etwas Phantasie ausmalen konnte, was für einen Sex-Appeal er einmal gehabt haben mußte. Schwieg er, war er schlicht ein Wrack. Das Wrack eines Wracks. Ein Flüchtling aus dem Konzentrationslager mit so dünnen Handgelenken, daß man seine Nummer nur mit der Lupe erkennen konnte. Sie sollte verhindern, daß er belästigt wurde, sonst wußte sie nichts über ihn. Ein Dauerjob würde es wohl nicht werden.
»Vermutlich bin ich nicht so wichtig, daß Mr. Rampling mich erwähnen würde. Wenn ich recht verstanden habe, hat sich einiges getan, seit Sie sich das letzte Mal unterhalten haben, und er ist besorgt, daß Sie irgendwie beunruhigt sein könnten.«
Er überlegte. »Nein, keineswegs. Ich glaube nicht, daß mich etwas beunruhigt. Sie können zu ihm gehen und ihm sagen, ich sei kreuzfidel.«
Ganz offensichtlich machte er sich über sie lustig, aber ohne Bosheit. Eher wollte er sie an seinem Scherz teilhaben lassen.
»Ich glaube, Mr. Rampling hofft, sie selbst besuchen zu können«, fuhr sie fort. »Er kommt anläßlich des Besuchs von Premierminister Ho nach Williamsburg. Sie haben es wahrscheinlich in der Zeitung gelesen, und wenn er es einrichten kann, sagt er, will er bei Ihnen vorbeischauen.«
»Wenn jemand es sich einrichten kann, dann Scott«, entgegnete Westropp lächelnd. »Es wäre schön, wenn er es für mich täte. Wollen Sie nicht doch auf eine Tasse Kaffee bleiben?«
Sie war aufgestanden. Der Mann stand mit einem Fuß im Grab, aber in seinen eigenen vier Wänden gab noch immer er den Ton an. Draußen war der Ort, wo es seine Privatsphäre zu schützen galt.
Sie sagte: »Ich glaube nicht. Mr. Rampling hat mich extra darauf hingewiesen, darauf zu achten, daß Sie sich nicht von Besuchern ermüden lassen, also gehe ich am besten mit gutem Beispiel voran.«
Die Tür öffnete sich, und Marilou kam mit einem Tablett herein. »Wollen Sie nicht bleiben?« fragte sie.
»Nein, vielen Dank. Ich habe gerade zu Mr. Bellmain gesagt, daß er vielleicht für eine Weile nicht von Besuchern belästigt werden sollte.«
»So?« kam es frostig. »Sagen Sie mir, junge Frau, sind Sie Doktor?«
»Nur der Philosophie«, entgegnete Linda Steele mit ihrem schönsten Lächeln. »Ich wünsche Ihnen einen guten Tag.«
Sie verließ das Haus und sah, daß sie sich gerade noch rechtzeitig zum Gehen entschlossen hatte.
Am Gartentor stand Cissy Kohler.
Sie eilte den Weg hinunter auf sie zu und begrüßte sie freundlich: »Hallo, meine Liebe. Sie sind doch Miss Kohler, nicht? Ich heiße Linda. Linda Steele. Wir kennen uns noch nicht, haben aber eine Menge gemeinsamer Freunde. Was dagegen, wenn ich eine Weile mit Ihnen spazierengehe?«
Cissy Kohler antwortete: »Entschuldigen Sie, aber ich muß ins Haus.«
»Die Mühe können Sie sich sparen. Ich habe gerade mit Mrs. Bellmain gesprochen, und sie meint, ihr Mann sei zu krank, um Besuch zu empfangen. Warum machen wir also nicht besagten Spaziergang und
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