Ins Leben zurückgerufen

worauf sie gezielt hatte.
    Dennoch ersparte man ihr die Unbilden des Sports nicht. Und niemand wurde aus den damit verbundenen Verpflichtungen entlassen, zu denen an erster Stelle gehörte, daß jeder Gast sich um seine Waffe kümmerte, sie nach dem Schießen reinigte und danach in der Waffenkammer ankettete.
    Irgendwann nach dem Abendessen pflegte Mickledore in seiner besten Offiziersmanier zu fragen, ob sie schon alle ihre Arbeit erledigt hätten. Mogeln war zwecklos. Vor dem Zubettgehen pflegte er als letztes die Waffenkammer zu inspizieren, und wenn etwas nicht stimmte, hatte er keine Hemmungen, den Schuldigen unabhängig von Geschlecht und Rang aus den Federn zu holen, damit die Sache in Ordnung gebracht wurde.
    Die Waffenkammer lag am östlichen Ende des Gästekorridors. Sie war zusätzlich über eine Nebentreppe erreichbar, die von der alten Küchendiele nach oben führte, in der sich die Schützen zu versammeln und umzuziehen pflegten. So hielt man schlammige Stiefel und tropfende Wachsjacken aus dem Haupthaus fern.
    Dieselbe Treppe führte weiter in den zweiten Stock, wo die Kinder und ihre Kinderfrauen schliefen.
    Die Waffenkammer war mit schwerem Holz getäfelt, fensterlos und mit einer Doppeltür versehen. Die Gäste erhielten einen Sicherheitsschlüssel für die äußere Tür, der größere Schlüssel für das innere Einsteckschloß lag auf einem schmalen Absatz über der inneren Tür. Man erwartete von den Gästen, daß sie die Waffe nach dem Reinigen in das Wandgestell stellten und mit einem selbstschließenden Haspen, der sich drehte und genau über dem Sicherungshebel einschnappte, sicherten. Für diese Haspen hatte nur Mickledore einen Schlüssel. In anderen Worten, die Gäste stellten ihre Flinten weg, konnten sie aber ohne Hilfe ihres Gastgebers nicht wieder herausnehmen.
    Das Wochenende ging früh los, da es alle geschafft hatten, am Freitag zum Mittagessen einzutreffen. Es war nicht unser erster Besuch auf Mickledore Hall, und so brauchten weder Erwachsene noch Kinder Zeit darauf zu verschwenden, sich mit den Regeln vertraut zu machen. Wir älteren Kinder verbrachten herrliche Stunden mit Miss Kohler auf dem See, während Miss Marsh strickend am Ufer saß und auf die beiden Kleinkinder aufpaßte. Auch die Erwachsenen scheinen sich gut amüsiert zu haben, wenn meine und Lord Partridges Erinnerung an die Atmosphäre nicht trügt. Ich sollte an dieser Stelle erwähnen, daß nichts von dem, was ich in dem ausführlichen Kapitel über dieses Wochenende in Seiner Lordschafts Memoiren
Im Birnbaum
gelesen habe, meinen eigenen Erinnerungen widerspricht. Allerdings bewegten wir uns natürlich einen Großteil der Zeit in einander ausschließenden Sphären.
    Für uns Kinder begann der Samstag dort, wo der Freitag aufgehört hatte, nur war alles noch besser. Für die Erwachsenen hatten sich die Dinge jedoch in die andere Richtung entwickelt. Wir spürten das bereits bei unserer kurzen Zusammenkunft am Morgen, und da wir kluge Kinder waren, machten wir uns rar. Lord Partridge erinnert sich an eine gewisse Verdrossenheit Pamela Westropps, an ihre kaum unterdrückte Verärgerung und ihre versteckten Anspielungen. Aus der Retrospektive glaubt er zu erraten, daß sie eigentlich Mickledore im Visier hatte, und da es ihr nicht gelang, ihres Ärgers Herr zu werden, bemühte sie sich zu verbergen, gegen wen er gerichtet war, indem sie unterschiedslos alle angriff. Ihr Mann bekam allerdings, wie zu erwarten, mehr als seinen Anteil ab.
    Um richtig zu schießen, war es natürlich zu früh im Jahr, doch die ganze Jagdpartie, Männer und Frauen, wurde über die Ländereien geführt und durfte alles abknallen, was für Mickledore Ungeziefer war. Die frische Luft und die Ballerei verbesserten die Stimmung erstaunlich wenig. Als man am späten Nachmittag wieder ins Haus zurückkehrte, erfuhr man, daß Stephen Ward gestorben war.
    Am Abend vorher hatte niemand auch nur ein Wort über den Profumo-Skandal oder den Ward-Prozeß gesagt, laut Partridge fast so, als hätte man sich abgesprochen. Samstagnacht war es anders. Pamela Westropp hörte nicht auf, auf dem Thema herumzureiten. Immer wieder kam sie auf die Heuchelei des britischen Establishments zu sprechen, das Ward zu Tode gehetzt habe. Und sie sagte: »Nicht wahr, Mick, du hast ihn natürlich ziemlich gut gekannt?«
    »Ich denke, das kann man sagen«, erwiderte Mickledore, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. »Doch das gilt wohl auch für etliche andere