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Ins Leben zurückgerufen

Ins Leben zurückgerufen

Titel: Ins Leben zurückgerufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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geburtsrechtlichen Voraussetzungen überprüfte. [3]
    Pascoe warf das Handtuch. Soviel Ehrenhaftigkeit schlug ihm auf den Magen. Wo nahmen die Kerle nur die Zeit her? Wäre von ihm die Rede, würde der Text in etwa so lauten: Er arbeitete so viel, daß er kaum Zeit hatte, seine Familie zu vernachlässigen.
    Er hütete sich jedoch davor, sich auf finstere Selbstprüfungen einzulassen, und blätterte weiter in dem Buch, bis er das Kapitel über die Ereignisse auf Mickledore Hall fand.
    Es war interessant, wenngleich etwas blumig geschrieben. Irgendwie hatte man beim Lesen den Eindruck, Partridge habe aus angeborenem Edelmut lieber seine politische Karriere geopfert, als sich dem Lauf der Gerechtigkeit entgegenzustellen und Mickledore mit einem falschen Alibi zu versehen.
    Bei der Beschreibung des Wochenendes hatte er ebenfalls die rosarote Brille auf. Für ihn war es der Fall der Unschuld, die Auflösung der Tafelrunde, und er spielte das Thema in allen Variationen durch. Er stilisierte das Gut Mickledore zum Symbol jenes Merrie Old England, das sich bei wehmutsvollen Torys großer Beliebtheit erfreut, weil jeder Einwohner glücklich und zufrieden in dem Stande lebte, der ihm von Gott und einer wohlmeinenden Regierung zugewiesen worden war. Die Jagdgesellschaft des ersten Nachmittags beschrieb er als ländliche Idylle, obwohl man außer ein paar Tauben, Krähen und Kaninchen nicht viel abknallen durfte, da es bis zum glorreichen 12., dem Beginn der Jagdsaison, noch über eine Woche war. Doch bei Partridge war das Ganze in ein herbstliches Glühen getaucht, das bronzegetönte Getreide wogte im Wind, die fruchtbeladenen Bäume seufzten, und die abgeschossenen Vögel taumelten im Zeitlupenballett zur Erde. Im Hintergrund kündigte sich das Verhängnis an – wie fernes Donnergrollen an einem wolkenlosen Tag.
    Das Essen am Freitagabend schien das letzte Abendmahl des Goldenen Zeitalters gewesen zu sein. »Ich hatte das Gefühl«, schrieb Partridge, »daß um diesen Tisch alles saß, dessen es bedurfte, um uns von dem hohen Niveau, das wir nach dem traumatischen Krieg erreicht hatten, herunterzuholen. Es fehlte nichts, um uns zu den fernen, aber deutlich sichtbaren Gipfeln sozioökonomischer Harmonie zu führen, für die wir uns alle eingesetzt hatten. Da saß Stamper, der Industrielle, der das einfache Volk repräsentierte und ihm zeigte, wie weit man es bringen kann. Da war Westropp, der Diplomat, Mitglied der wunderbaren Familie, die das Juwel unserer konstitutionellen Krone ist, jedoch frei von dem Makel, von Mitteln der öffentlichen Hand zu leben. Da war Scott Rampling, jung, energisch, eine Verkörperung der großartigen Energie, mit der John F. Kennedy der amerikanischen Gesellschaft neues Leben einhauchte. Da war Mickledore, der Gastgeber, ein rundum talentierter Mann, der durch seine allgemeine Beliebtheit zeigte, daß unser britisches Klassensystem nicht, wie die Linke behauptet, unser Land teilt, sondern im Gegenteil eine harmonisierende und einigende Kraft ist, solange jeder seinen Platz mit Würde akzeptiert. Und dann gab es da auch noch mich. Auch ich war mir damals sicher, daß ich etwas zu bieten hatte, mehr als ich bis zu jenem Zeitpunkt hatte zeigen dürfen. Doch lassen wir das.
    Und dann waren da natürlich die Damen. Wie drängte sich mir das alte Sprichwort auf, wenn ich den Blick in die Runde warf, daß gewöhnlich hinter jedem aufsteigenden Mann eine Frau steht. Wie wenig erinnerte ich mich damals an den zweiten Teil der Redensart, daß gewöhnlich hinter dem Sturz eines großen Mannes eine zweite Frau steckt!«
    Ob Ellie das wohl gelesen hat, fragte sich Peter Pascoe. Er versuchte sich daran zu erinnern, ob er in letzter Zeit lautes Wutgeheul und den dumpfen Aufprall eines Buchs vernommen hatte, das an der Wand gelandet war. Er kam aber zu dem Schluß, daß dem nicht so gewesen sei. Im
Guardian
war jedoch eine Rezension erschienen, über die sie gelacht hatte. Sie hatte sie ihm gezeigt (war der Verfasser nicht William Stamper gewesen?), und er hatte auch lachen müssen. Der Artikel hatte die Überschrift getragen: HABEN WIR NOCH EINEN FÜHRER VERLOREN ? und hatte durchblicken lassen, daß von den vielen politischen Führern, die nach dem Krieg auf der Strecke geblieben waren, wahrscheinlich keiner den Weg zu Nelsons Säule gefunden hätte, wenn man sie alle auf den Trafalgar Square geschickt hätte.
    Er las weiter, wie Partridge, bevor er in jener Nacht zu Bett ging, auf der Terrasse mit Blick auf

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