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Ins Nordlicht blicken

Ins Nordlicht blicken

Titel: Ins Nordlicht blicken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Franz
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erkennen, ob er sich an diese Begebenheit erinnerte.
    »Sie wollten mich mitnehmen, zum Inlandeis.«
    »Und? Hab ich’s getan?«
    »Nein. Es kam leider nicht dazu. Mein Vater hatte Ihnen beiden damals ein Geschäft vermasselt ...«
    »Und jetzt bist du hier, damit ich mein Versprechen einlöse?« Kleist lehnte sich in seinem Sessel zurück, verschränkte die Arme über der breiten Brust. »Viel länger hättest du auch nicht warten dürfen. Das Eis ist bald weg.« Er lachte dröhnend über seinen eigenen Witz und schob Jonathan einen Teller mit kleinen runden Kuchen hin. »Bedien dich.« Bedeutungsvoll hob er den Blick. »Pakkutaq.« Immer noch musterte er Jonathan wie ein exotisches Wesen. »Das muss ich Ingvar erzählen! Er kommt übermorgen aus Kopenhagen. Der wird mich für verrückt erklären.«
    Jonathan lächelte matt. Die Vorstellung, wie sich die beiden Kleists über ihn das Maul zerrissen, gefiel ihmganz und gar nicht. Aber letztendlich konnte es ihm egal sein, was sie alles für Vermutungen anstellten. »Können Sie mir denn nun sagen, wo mein Vater jetzt ist?«, fragte er.
    »Das kommt drauf an.«
    »Worauf?« Jonathans Blick folgte einem Seeadler, der von den Felsen am Fjord hinab auf das Wasser segelte. Er bemühte sich, seine Ungeduld nicht zu zeigen. Er spürte, dass Ingvars Vater eine Art Spiel mit ihm vorhatte.
    »Es hängt davon ab, wie man das armselige Leben Peter Wildhausens bewertet ...«
    Jetzt sah Jonathan Gunnar Kleist fragend an.
    »... und ob man an Himmel und Hölle glaubt.«
    »Was meinen Sie damit?« Jonathan hielt den Atem an und fixierte sein Gegenüber voller Anspannung.
    »Dein Vater lebt nicht mehr, Pakkutaq. Er ist schon seit Jahren tot.«
    Die Stille, die diesen Worten folgte, brachte die Luft zum Sirren.
    »Und er hat sich nicht zu Tode gesoffen«, sagte Kleist, »obwohl das auf der Hand gelegen hätte. Nein, Pakkutaq, dein alter Herr wurde höchstwahrscheinlich umgebracht.«

Hamburg, Frühjahr 2011
    hi spider, long time no see
    hi bienenkönig, long time no play
    was war los?
    was meinst du?
    unser date
    wo? In ny?
    in hamburg
    sorry
    ich bin hier, in hmb
    und?
    ich hatte ne lange anreise, mann
    sorry
    ja, sorry. und jetzt?
    Jonathan saß im Gästezimmer des Mannes, den er ein paar Stunden lang für Spider gehalten hatte, am Schreibtisch und starrte auf das leuchtende Rechteck des Mac. Es dauerte einige Sekunden, bis er die volle Bedeutung des Satzes begriff, der auf dem Bildschirm aufgetaucht war.
    Dein Gegner hat das Spiel verlassen.

Flug von Nantortalik nach Qaanaaq, Grönland, Sommer 2020
    Jonathan und Shary saßen in Gunnar Kleists schmalem Privatflugzeug, in dem außer dem Piloten nur noch sie beide und drei weitere Passagiere Platz hatten. Jonathan versuchte, die Übelkeit in seinem Magen zu ignorieren. Das war alles viel zu schnell gegangen. Er hätte sich von Gunnars Angebot nicht so überrollen lassen dürfen. Noch immer hatte er nicht ganz begriffen, was er an diesem Morgen über seinen Vater erfahren hatte.
    Für eine Sekunde hatte Gunnar Kleist sich an seinem Schock geweidet, dann hatte ihm sein ruppiger Ton offenbar leidgetan, denn er war freundlicher geworden. »Die genauen Umstände weiß ich leider nicht, Pakku. Ich glaube, sie wurden nie richtig geklärt. Ein Geschäftsfreund von deinem Vater und mir hat mir damals was gemailt.«
    »Was? Was gemailt?«
    »Einen Zeitungsausschnitt über deinen Vater. Ich werde meine Sekretärin bitten, mal nachzuschauen, ob sie da noch was findet.«
    In diesem Moment war die Sekretärin ins Zimmer gekommen, um Kleist mitzuteilen, dass sein Termin in Qaanaaq geplatzt sei. Gunnar hatte schnell reagiert, vielleicht weil er froh darüber war, dieses Gespräch beenden zu können. »Es ist zwar kein Hubschrauber«, hatte er gesagt,»aber es ist ein Lowfligher. Wenn du dich beeilst, kannst du für mich mitfliegen.«
    Jonathan war nicht in der Lage gewesen zu reagieren. Da hatte Gunnar ihn förmlich aus dem Büro geschoben. »Ich schick dir den Artikel, falls sie ihn findet. Lass deine E-Mail-Adresse hier.«
    Jonathan hatte Shary angerufen, die begeistert gewesen war, in den Norden zu fliegen. Sie hatte ihr Gepäck in ein Taxi verfrachtet und eine halbe Stunden später hatten sie sich am Flugplatz getroffen. Und so hockte er nun im Flugzeug nach Qanaaq hinter Shary, die neben dem Piloten saß, eingeklemmt zwischen drei russischen Geschäftsleuten, die sich mit ihren elektronischen Unterlagen beschäftigten. Er schaute hinunter auf

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