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Ins Nordlicht blicken

Ins Nordlicht blicken

Titel: Ins Nordlicht blicken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Franz
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die grüngraue, von Bergen und Fjorden durchzogene Landschaft. Auch die Bohrinseln auf dem Meer waren zu sehen und die Raffinerien, die wie silberne Nadeln aus dem Land ragten. Ihre Fackelanlagen setzten glühende Punkte auf das Grün. Grönland wurde angezapft und ausgesaugt, das war nirgends so deutlich zu erkennen wie von hier oben. Für die Erdölkonzerne war es, als hätten sie einen ganz neuen Kontinent entdeckt, den sie zur Ader lassen konnten.
    Durch den Blick aus dem Fenster war in Jonathan wieder eine Welle der Übelkeit aufgestiegen. Er starrte auf Shary vor ihm, die ihre Stirn gegen die Scheibe drückte. Er hatte ihr noch nicht erzählt, dass die Suche nach seinem Vater ein Ende gefunden hatte. Was hätte er ihr auch sagen sollen? Er wusste ja selbst so gut wie nichts. Gunnars Worte waren immer noch nicht ganz zu ihm durchgedrungen.»Dein Vater lebt nicht mehr, Pakkutaq ... Er ist seit Jahren tot ... Er wurde höchstwahrscheinlich umgebracht ...«
    Als Jonathan am Flugplatz sein Gepäck aus dem Kofferraum des Taxis genommen hatte, war er unschlüssig mit der Honigschleuder in den Armen stehen geblieben. Ein Angestellter von Trans Greenland war ihm zu Hilfe gekommen. »Das ist leider zu viel Gepäck, Mister«, hatte er gesagt. Ohne nachzudenken, hatte Jonathan ihm die silberne Trommel in die Hände gedrückt. »Werfen Sie das Ding einfach weg. Das brauche ich nicht mehr«, hatte er geantwortet.
    Ja, sein absurdes Geschenk war ein für alle Mal überflüssig geworden. Adressat verstorben. Jonathan rieb sich die Schläfen. Was mochte passiert sein? Hatte sich sein Vater im Suff mit irgendjemandem angelegt? Es wäre nicht das erste Mal gewesen, obwohl er eigentlich kein gewalttätiger Mensch gewesen war. Er konnte sich an kein einziges Mal erinnern, wo sein Vater gegen ihn die Hand erhoben hatte. Vielleicht war er ihm dafür zu gleichgültig gewesen. Jonathan schluckte trocken. Er spürte keine Trauer über den Tod seines Vaters. Eher das Gefühl, in eine Sackgasse gerannt zu sein und jetzt verwirrt dazustehen und nicht zu wissen, ob er einfach wieder umkehren sollte.
    Musste er Shary gegenüber seine wahre Identität überhaupt aufklären, jetzt wo sein Vater nicht mehr lebte? Worin bestand nun noch der Sinn dieser Grönlandfahrt? War es nicht das Beste, den Flug in den Norden als krönenden Abschluss zu nehmen und dann nachNuuk zurückzufliegen und auf die Alaska zu warten? Wen interessierte denn schon wirklich, ob Pakkutaq Wildhausen noch am Leben war oder nicht? Es gab keinen Weg zurück. Hatte er das gestern nicht selbst noch gesagt?
    »Hey, was ist das für ein Ort?« Sharys Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.
    Der Pilot lachte und klärte sie auf, dass sie gerade die Hauptstadt überflogen. »Immerhin ist Nuuk mit Abstand der größte Ort in Grönland, auch wenn hier keine zwanzigtausend Menschen leben.«
    »Und Qaanaaq? Wie groß ist das?«, fragte Shary.
    »Viel kleiner. Da leben rund sechshundert Leute. Die Gegend da oben ist nicht gerade beliebt, musst du wissen, und das liegt nicht nur an der Kälte. Den Amis ist dort mal ein B-52-Bomber ins Meer gestürzt und wahrscheinlich liegt dort oben noch immer eine Atombombe im Meer. Die anderen drei Sprengköpfe konnten geborgen werden, aber bei den Aufräumarbeiten sind eine Menge Grönländer verstrahlt worden.«
    »Wann war das? Ist das lange her?«
    »Wie man’s nimmt. Das war im Januar 1968. Viele Menschen von damals leben nicht mehr, aber die radioaktiven Atome halten ein wenig länger durch. Eigentlich müsste man da Warnschilder aufstellen, aber das macht sich natürlich nicht so gut, weder bei den Einheimischen noch bei den Touristen.«
    Jonathan musste an Frau Arneborg denken, an endlose Schulstunden, in denen er neben Aqqaluk gesessen und nur wenig von dem verstanden hatte, was sie ihnen überdie grönländische Geschichte vermitteln wollte. Doch plötzlich machte etwas in ihm klick. Qaanaaq ... Januar 1968 ... Atommüll, der die Inuit verseucht hat ... Viele der Menschen leben nicht mehr ... Plötzlich begriff er, warum sein Vater damals so voller Hass auf die Amerikaner gewesen war.
    Sie hatten beim Fernsehen in eine Sendung über Atomversuche im Pazifik gezappt und sein Vater war aufgesprungen und hatte den Apparat ausgeschaltet. »Diese Scheißamis!«, hatte er geschrien. »Diese Scheißamis haben deine Mutter auf dem Gewissen! Sie war doch schon kaputt, als sie aus dem Norden abgehauen ist, aus diesem verseuchten Nest, lange bevor sie

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